Herr Decker, welche Ergebnisse der Leipziger Autoritarismus Studie 2024 halten Sie für zentral?
Drei Erkenntnisse sind für mich zentral. Da fällt zuerst die Zunahme einer manifesten Ausländerfeindlichkeit ins Auge, die nicht nur in Ostdeutschland angestiegen ist, sondern auch im Westen. Seit Beginn der Studienreihe vor über 20 Jahren hatte die Ausländerfeindlichkeit in Westdeutschland konstant abgenommen. Wenn man sich aktuelle politische Entwicklungen anschaut, darf dieses Ergebnis aber nicht überraschen. Die Ausländerfeindlichkeit und die Ablehnung von Migration sind zu einem zentralen Element der politischen Auseinandersetzung geworden. Die Ablehnung von Migranten wird von rechtsautoritären Parteien befördert, aber demokratische Parteien greifen dieses Motiv auch auf und bedienen es.
Zweitens sind auch die antisemitischen Einstellungen im Westen angestiegen. Auf den ersten Blick ist dieser leichte Anstieg nicht beängstigend, aber er markiert eine Trendumkehr: Bisher sank die Zustimmung kontinuierlich. Und ich sehe einen Zusammenhang zu den antisemitischen Straftaten, die sich im letzten Jahr verdoppelt haben. Sich antisemitisch zu äußern wurde bisher stark sanktioniert. Unsere Ergebnisse könnten darauf hindeuten, dass Ressentiments gegen Jüdinnen und Juden wieder einfacher geäußert werden können.
Und drittens weisen die Ergebnisse darauf hin, dass die Demokratie unter Druck geraten ist. Nur noch 90 Prozent der Befragten sind mit der Idee der Demokratie zufrieden. Diese Zahl mag vielleicht hoch klingen, ist aber der niedrigste Wert, den wir seit 2014 gemessen haben. Die Zufriedenheit mit dem Alltagserleben der Demokratie ist vor allem in Ostdeutschland stark gesunken, nur noch 30 Prozent sind mit der Staatsform, wie sie in Deutschland praktiziert wird, zufrieden. Auch in Westdeutschland liegt der Wert mit 46 Prozent sehr niedrig.
Sie machen die Studie seit 2002. Wie reagieren Sie in Ihrer Forschung auf die Veränderungen der politischen Stimmungen und wie entwickeln Sie die Methodik weiter?
Wir haben Anfang der Nullerjahre unter dem Eindruck der 1990er und der massiven Gewalt gegen Migranten und der rechtsextremen Mobilisierung begonnen. Damals haben wir einen Fragebogen zu rechtsextremen Einstellungen entwickelt, der verschiedene Dimensionen zu Ethnozentrismus und Neo-NS-Ideologien umfasst. Wir wollten also erfassen, wie weit der Wunsch nach einem überlegenen, ethnisch homogenen Nationalstaat unter den Befragten verbreitet war. Im Zeitraum von fast einem Vierteljahrhundert verändert sich die politische Kultur naturgemäß. Daher reagieren wir in jeder Untersuchung auf aktuelle Entwicklungen. In diesem Jahr haben wir unter dem Eindruck des Angriffs auf Israel am 7. Oktober 2023 und der daraus resultierenden Folgen den Antisemitismus stärker in den Fokus gerückt. Wir hatten die Vermutung, dass wir die Verbreitung dieses Vorurteils in der Bevölkerung unterschätzt haben. Das gilt auch für politische Bewegungen, die nicht für rechte Ideologien eintreten.