Es geht um nichts weniger als unsere Lebensgrundlage. Zahlreiche Tier- und Pflanzenarten sind vom Aussterben bedroht, viele Ökosysteme stehen unter Druck. Mit ihnen drohen Leistungen der biologischen Vielfalt zu verschwinden, von denen das Wohlergehen der Menschen abhängt. Um den Trend des globalen Artenschwunds umzukehren, haben die 196 Mitgliedsstaaten der UN-Biodiversitätskonvention (CBD) im Dezember vergangenen Jahres bei der Weltnaturschutzkonferenz in Montreal ein neues Abkommen zur Biodiversität mit globalen Zielen bis 2030 verabschiedet.
„Wir haben jetzt gute, ambitionierte internationale Biodiversitätsziele, die auch die Bundesregierung mit vorangebracht hat“, sagt iDiv-Professorin Aletta Bonn, Leiterin der Forschungsgruppe Ökosystemleistungen am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ), iDiv und der Friedrich-Schiller-Universität Jena. Allerdings zeige die Vergangenheit, dass die besten und ambitioniertesten globalen Ziele nichts nützen, wenn sie auf nationaler Ebene nicht mit effektiven Maßnahmen gemeinsam mit Akteuren aus allen Bereichen der Gesellschaft umgesetzt würden. „Wir müssen jetzt die Umsetzung der globalen Ziele ambitioniert vorantreiben. Dies kann nur gelingen, wenn Politik, Wirtschaft, Zivilgesellschaft und Forschung zusammenarbeiten und tatkräftige Investitionen in unsere Natur tätigen – als Sicherung für unsere Gesundheit und die Zukunft unserer Kinder und Enkel.“
Beim Parlamentarischen Abend in der Landesvertretung Sachsen-Anhalt diskutierten die Parlamentarische Staatssekretärin im Bundesumweltministerium Dr. Bettina Hoffmann, der Vorsitzende des BUND - Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland Olaf Bandt sowie der Bundesgeschäftsführer des Bundesverband mittelständische Wirtschaft Andreas Jahn gemeinsam mit Abgeordneten des Bundestags sowie Vertreterinnen und Vertretern aus Forschung, Wirtschaft und Zivilgesellschaft, welche Maßnahmen von welchen gesellschaftlichen Gruppen notwendig sind, damit Deutschland seinen Beitrag zur Erreichung der globalen Ziele leisten kann.
In einem Brief, unterzeichnet von mehr als 500 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus ganz Deutschland, empfehlen die Forschenden der Bundesregierung, einen politisch hoch aufgehängten nationalen Biodiversitätsrat für die nationale Umsetzung einzurichten. Ein solcher Biodiversitätsrat soll – gemeinsam mit jungen Menschen – dabei helfen, die Erhaltung unserer biologischen Lebensgrundlage über alle Politikressorts hinweg zum Kernthema der Politik machen.
„Um den stetigen Abwärtstrend der biologischen Vielfalt umzukehren, helfen die besten verfügbaren wissenschaftlichen Erkenntnisse dabei, effektive Maßnahmen zu finden“, sagt iDiv-Sprecher Prof. Henrique Pereira von der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. „Ob die ergriffenen Maßnahmen dann auch umgesetzt werden und wirken, muss konsequent evaluiert werden. Dafür brauchen wir ein systematisches und effektives Biodiversitätsmonitoring. Wir freuen uns sehr, dass der Bund das Nationale Monitoringzentrum zur Biodiversität (NMZB) in unserer direkten Nachbarschaft in Leipzig eingerichtet hat.“
Prof. Christian Wirth von der Universität Leipzig und ebenfalls iDiv-Sprecher sieht eine langfristig gesicherte Förderung der Grundlagenforschung als wesentliche Voraussetzung, um die globalen Biodiversitätsziele erreichen zu können. „Unser Planet wandelt sich schneller, als uns lieb ist, und damit auch seine biologische Vielfalt. Was heute noch als gesichertes Wissen gilt, ist morgen schon veraltet. Es ist die Aufgabe der Grundlagenforschung, diese Änderungen nicht nur zu beobachten, sondern in Echtzeit zu verstehen, damit wir handlungsfähig bleiben bei der Rettung des Planeten – jetzt und in Zukunft.“
Prof. Armin Willingmann, Minister für Wissenschaft, Energie, Klimaschutz und Umwelt des Landes Sachsen-Anhalt und Co-Gastgeber des Parlamentarischen Abends, sagt dazu: „Der Erhalt der Artenvielfalt gehört zu den drängendsten Herausforderungen weltweit. Deshalb haben wir in Mitteldeutschland mit dem iDiv einen Forschungsleuchtturm zur Biodiversität aufgebaut, der inzwischen auch international Spitze ist. Gerade mit Blick auf die Umsetzung des im Dezember 2022 in Montreal erzielten Abkommens zur Artenvielfalt werbe ich sehr dafür, dass sich neben den Ländern Sachsen-Anhalt, Sachsen und Thüringen auch der Bund langfristig an der Finanzierung des iDiv beteiligt.“
„iDiv ist ein Paradebeispiel dafür, wie in der Forschung und ihrer Förderung grenzübergreifende Synergien genutzt werden können“, sagt Prof. Eva Inés Obergfell, Rektorin der Universität Leipzig und stellvertretende Kuratoriumsvorsitzende von iDiv. „Wir wünschen uns, dieses Erfolgskonzept über die föderale Grenze hinaus zu erweitern und weitere Partner wie etwa den Bund in die Forschungsförderung einzubinden. Die Biodiversitätskrise wird uns noch lange beschäftigen. iDivs exzellente Forschung schafft die Handlungsgrundlagen, um diese Menschheitsaufgabe zu stemmen.“
Hintergrund
In den zehn Jahren seit seiner Gründung hat sich iDiv zu einer international renommierten Forschungseinrichtung entwickelt. 350 Mitarbeitende aus 40 Nationen, neun Professorinnen und Professoren sowie vier Nachwuchsgruppen schaffen hier die wissenschaftlichen Grundlagen für einen nachhaltigen Umgang mit der biologischen Vielfalt. „Biodiversität“ umfasst dabei die gesamte Vielfalt des Lebens – nicht nur Artenvielfalt, sondern auch genetische Vielfalt, Vielfalt an Funktionen, Interaktionen und Ökosystemen. Zu den Mitarbeitenden im Leipziger Kernzentrum kommen mehr als 150 Mitglieder: Forschende, die an Fragen der integrativen Biodiversitätsforschung arbeiten und bei den drei beteiligten Universitäten Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, Friedrich-Schiller-Universität Jena und Universität Leipzig sowie dem Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) und sieben weiteren Institutionen beschäftigt sind. Sie unterstützen mit ihrer Expertise maßgeblich die wissenschaftliche Alleinstellung von iDiv.
iDiv-Forschungserkenntnisse schaffen die Grundlagen für die Erhaltung der Biodiversität. Sie sind relevant auf verschiedenen Ebenen der Gesellschaft – auch in der Politik: international etwa durch Beiträge zum Weltbiodiversitätsrat IPBES, dem Übereinkommen über die biologische Vielfalt (CBD) oder Analysen der Gemeinsamen Agrarpolitik der EU. Auf Bundesebene beispielsweise durch die Mitgestaltung eines nationalen Biodiversitätsmonitorings und auf Landesebene durch Politikberatung in den Landtagen.