Marina Schubarths Gastprofessur, die am 4. November beginnt und bis zum Februar 2023 dauern wird, reicht weit über den engeren Bereich des Theaters hinaus. Sie ist ein politisches und kulturelles Signal. In ihren Arbeiten zur Geschichte und Gegenwart der Ukraine geht es ihr darum, ein historisches Bewusstsein zu schaffen für Länder wie die Ukraine, die unter Stalin und Hitler bereits gelitten und heute erneut von Zerstörung und Auslöschung bedroht sind. „Wir wissen viel zu wenig über die Ukraine und das wenige wird durch die russische Propaganda, die ein wichtiges ideologisches Mittel in diesem Krieg ist, verfälscht“, sagt Prof. Dr. Günther Heeg, Direktor des Centre of Competence for Theatre. „Geschichte(n) unter Beschuss. Vernichtungskrieg und Dokumentartheater“ lautet folgerichtig der Titel von Marina Schubarths Gastprofessur in Leipzig. Sie verbindet die Geschichte und Gegenwart der Ukraine mit der Geschichte und den Erzählungen von Menschen, die im gegenwärtigen Krieg auf der Flucht sind oder sich noch vor Ort in der Ukraine befinden. Im Zentrum steht die Frage, welche Mittel und Möglichkeiten (Dokumentar)Theater hat, solche Taten und Geschehnisse zu einer Erfahrung werden zu lassen, die resilientes Handeln möglich macht. „Was in der Realität so grauenvoll ist, dass es unsere Vorstellungskraft übersteigt, kann durch Theater so gezeigt werden, dass wir den Blick nicht abwenden und uns der Realität stellen können“, ist Marina Schubarth überzeugt.
Die Bertolt Brecht Gastprofessur von Marina Schubarth wird von einer Reihe öffentlicher Veranstaltungen begleitet. Sie beginnt mit einem gemeinsamen Empfang von Stadt Leipzig und der Universität Leipzig am Montag, 7. November 2022 um 17.00 Uhr im Alten Senatssaal der Universität Leipzig. Hier rundet sich der Kreis: Die musikalische Begleitung beim Empfang der neuen Bertolt Brecht Gastprofessorin übernehmen der gerettete Geiger Oleg Yanushkevych und seine Frau, die Pianistin Diana Yanushkevych. Am 12. November 2022 um 17.00 Uhr diskutiert Marina Schubarth im Rahmen der euro-scene Leipzig im Schauspiel Leipzig mit dem Choreographen und Kurator Viktor Ruban aus Kiew über „Dancing in times of war“. Es folgt ein Artist Talk am 21. Dezember 2022 zusammen mit Marina Schubarths ukrainischer Partnerin, der Regisseurin und Choreographin Vlada Belozerenko, die dazu aus Kiew anreisen wird. Im Januar 2023 ist eine Aufführung von Marina Schubarths aktueller Arbeit „Ukraine in Flammen/Irynas Tagebuch“ vorgesehen, dem die Tagebucheintragungen einer jungen Dramaturgin zugrunde liegen, die sie in Butscha gemacht hat. Im Anschluss an die Aufführung soll ein Gespräch unter anderem mit Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (angefragt) und weiteren Gästen stattfinden.
Zur Person der Gastprofessorin
Marina Schubarth, geboren 1966 in Kiew, Ukraine, ist Schweizer Staatsangehörige. Fünfsprachig: Ukrainisch, Russisch, Englisch, Französisch, Italienisch. Ballettausbildung in Budapest mit Diplom dort sowie darauffolgend in Köln. Feste Engagements als Solotänzerin am Badischen Staatstheater Karlsruhe sowie am Theater des Westens in Berlin, dort bis 1997 tätig. Aufgrund von Fußverletzung berufsunfähig. Aufgabe des Berufes als Tänzerin 1997. Ab 1998 Tätigkeiten bei verschiedenen Theatern. Im Jahre 2002 Gründung des dokumentartheater berlin. Seitdem Regisseurin und Leiterin des Theaters. Bis heute circa vierzig Inszenierungen, die zahlreiche nationale und internationale Preise erhielten: 2002 erhielt sie zusammen mit Eberhard Radczuweit die Carl-von-Ossietzky-Medaille der Internationalen Liga für Menschenrechte für ihre Arbeit bei KONTAKTE-KOHTAKTbI e.V., Verein für Kontakte zu Ländern der ehemaligen Sowjetunion. 2018 war das dokumentartheter mit der Arbeit „AKTE/NSU“ Preisträger im Wettbewerb “Bündnis für Demokratie und Toleranz” des gleichnamigen Bündnisses. Für die deutsch-ukrainische Theaterproduktion „Babyn Jar. Ein Requiem“ (2021) wurde Marina Schubarth 2022 mit dem Franz-Bobzien-Preis ausgezeichnet. 2022 hat Marina Schubarth in Berlin das Festival „Ukrainischer Kultursommer“ kuratiert.
Zur Bertolt Brecht Gastprofessur der Stadt Leipzig
Die Bertolt Brecht Gastprofessur der Stadt Leipzig am Centre of Competence for Theatre und dem Institut für Theaterwissenschaft der Universität Leipzig wurde 2017 gemeinsam von der Stadt und der Universität Leipzig eingerichtet. Sie soll internationale Expertise in Forschung, Lehre und die öffentliche Vermittlung aktueller theater- und kulturbezogener Fragestellungen einbeziehen und den nachhaltigen Theorie-Praxis Transfer zwischen Wissenschaften und Künsten sowohl in die Lehre am Institut für Theaterwissenschaft, als auch in den öffentlichen Diskurs der Stadt Leipzig einbringen. Die Gastprofessur wird halbjährlich an herausragende Praxisvertreter:innen der darstellenden Künste und ihrer medialen Reflektion vergeben, die eine nachweisliche Bereicherung des wissenschaftlichen Diskurses und/oder der wechselseitigen Reflektion von Theorie und Praxis des Theaters in allen seinen Spielformen zu erbringen versprechen. Die Professur wird von der Stadt Leipzig mit einem jährlichen Zuschuss von 20.000 Euro unterstützt.