Terpene geben Kiefernnadeln ihren Duft und Bier und Orangenlimonade ihren Geschmack. Sie spielen eine Schlüsselrolle bei der Kommunikation von Lebewesen, etwa Insekten, aber auch uns Menschen, und in Verteidigungsmechanismen, zum Beispiel von Pflanzen gegen tierische Fressfeinde, Pilze und Bakterien. In der Biologie des Menschen spielen Terpene auch in Stoffwechselprozessen eine wichtige Rolle.
Längst werden Terpene im großen Maßstab industriell genutzt: in der Herstellung von Lebensmitteln und Nahrungsergänzungsmitteln, in Parfüms sowie in Arzneimitteln, zum Beispiel in Krebs- oder COVID-19 Medikamenten. „Wir brauchen ganz viele Tonnen unterschiedlichster Terpene pro Jahr und das heißt, wir müssen diese auch effizient und nachhaltig synthetisch herstellen können – das ist ein großes Problem“, sagt Prof. Dr. Tanja Gulder, Lehrstuhlinhaberin für Biomimetische Katalyse der Universität Leipzig.
In der Natur bilden Enzyme Terpene durch gezielte Faltung
„Denn die Natur macht diese Molekülverbindungen in einer jeweils einzigartigen Variante“, erklärt Gulder. „Dabei kommen die sogenannten Terpencyclasen zum Einsatz, also Proteine mit 100 bis 1.000 Aminosäuren. Diese Enzyme pressen einfache und bewegliche Kohlenstoffketten in eine bestimmte dreidimensionale Form, die das Aussehen des Produkts bestimmt“, so Gulder weiter. Ist die Reaktion einmal erfolgt, bleibt die Form des jeweiligen Terpens unveränderbar. Die Reaktion findet dabei in einer sogenannten „Enzymtasche“ im aktiven Zentrum des Enzyms statt, welche eine Blaupause der zu erstellenden Form in sich trägt. Nach vollzogener Reaktion entlässt das Enzym das fertige Produkt und der Prozess wird mit dem nächsten Baustein wiederholt. „Das kann man sich vorstellen wie eine rasante molekulare Fertigungsmaschine“, sagt Gulder.
Es gibt Terpene, die sich in Bezug auf Art und Anzahl ihrer Atomverbindungen gleichen – deren räumliche Anordnungen jedoch unterschiedlich sind. „Solche atomaren Unterschiede entscheiden im einfachen Falle, ob etwas nach Kümmel oder Orange schmeckt“, erläutert Gulder. Solche Unterschiede könnten aber auch bedeuten, dass ein Terpen völlig anders im menschlichen Organismus wirkt als das andere. Irrtümer hier können sich fatal auswirken. „Und je nachdem, auf welche Art die Kohlenstoffketten in die Enzymtasche hineingelegt werden, kommen unterschiedliche Terpene heraus, auch dies ist Teil der Komplexität in der Natur“, so Gulder.
Gewinnung bisher schwierig
Bisherige Ansätze, Terpene im Labor nachzubauen, erforderten sehr unterschiedliche und harsche Ausgangsbedingungen, wie eine sehr saure Umgebung oder tiefe Temperaturen, so die Forscherin. Für eine Herstellung in großen Mengen sei dies weder effektiv noch umweltfreundlich. Auch die Gewinnung von Terpenen aus Organismen, wie Pflanzen, Tieren, Pilzen stoße an ihre Grenzen. „Man kann nicht alle pazifischen Eiben fällen, um Taxol für ein Krebsmedikament zu isolieren. Man würde für 1 Gramm des Wirkstoffes die Rinde von 12 ausgewachsenen Bäumen dieser wenig verbreiteten Baumart benötigen“, sagt Gulder. Derzeit werde eine Vorstufe des gewünschten Terpens aus Nadeln einer anderen Baumart gewonnen und dann weiterverarbeitet. „Daher wollten wir sehen, wie wir die Prozesse der Natur im Reagenzglas nachbilden können und dabei größtmögliche Flexibilität und Effizienz erreichen“.
Die Lösung: Flüssigbaukasten mit fluoriertem Alkohol
Dem Team gelang es, eine passgenaue, enzymähnliche Umgebung für die Bildung von Terpenen nachzubauen, die aus leicht verfügbaren chemischen Substanzen besteht. Diese kann wie ein Baukasten genutzt werden: Durch die Zugabe von unterschiedlichen Ausgangstoffen und Zusätzen, die als Katalysatoren fungieren, können unterschiedliche Terpene künstlich hergestellt werden. Dreh- und Angelpunkt der neuen Herangehensweise sind die Eigenschaften von fluoriertem Alkohol: „Wir hatten festgestellt, dass, wenn man Wasserstoffatome in Alkoholen mit Fluor-Atome ersetzt, der so entstandene fluorierte Alkohol extreme Bindungskräfte aufweist: Moleküle bilden in solchen Lösungen Helices oder Ringe, die sich zu Röhren stapeln“, erläutert Prof. Gulder. Diese Strukturen ließen sich in Größe und Struktur gezielt durch chemische Zugaben beeinflussen. „Im Grunde haben wir eine künstliche Enzymtasche in Form einer strukturierten Lösung nachgebaut, in welcher sich unser jeweiliges Startmaterial hineinfalten kann. Wie auch in der Natur bleiben die Formen nach der Reaktion bestehen.“
Bei der Methodenentwicklung kamen auch Computersimulationen zum Einsatz. „Unsere Kollegen Philipp Dullinger und Professor Dominik Horinek der Universität Regensburg berechneten, welche dreidimensionale Strukturen, also Formen, die Alkohole mit den jeweils eingesetzten Additiven bilden. Das war wichtig, um geeignete Katalysatoren zu identifizieren, die uns zu den gewünschten Terpenen führen", berichtet Prof. Dr. Tanja Gulder.
In gängigen Chemielaboren umsetzbar
Die Methode erfordert keine zusätzliche Infrastruktur, sie kann in Chemielaboren ohne zusätzlichen Mehraufwand umgesetzt und leicht für die Anwendung auf eine Produktion in großen Maßstab skaliert werden. Das Verfahren benötige auch keine Schwermetalle oder Edelmetalle. „Damit ist es breit anwendbar und nachhaltiger als bisherige Methoden“, so Gulder, die vor ihrer Tätigkeit an der Universität Leipzig Heisenberg-Professorin an der TU München war. „Es ist ein Beispiel für den zukunftsorientierten Forschungsschwerpunkt der multifunktionalen Katalyse an der Universität Leipzig sowie des gerade bewilligten Großforschungszentrums CTC im Raum Leipzig.“ Dessen Fokus werde auf nachhaltiger Katalyse im industriellen Kontext liegen.
Originaltitel der Veröffentlichung in "Nature Communications":
"Enzyme-Like Polyene Cyclizations Catalyzed by Dynamic, Self-Assembled, Supramolecular Fluoro Alcohol-Amine Clusters", DOI: 10.1038/s41467-023-36157-0