Talgdrüsen sind für die Aufrechterhaltung von Struktur und Funktion der Haut unentbehrlich. In einem Prozess, der als holokrine Sekretion bezeichnet wird, akkumulieren die Zellen in der Drüsenperipherie massiv Lipidmoleküle, werden in das Zentrum der Drüse verlagert und reißen schließlich auf, wobei ein öliges Sekret (Sebum) freigesetzt wird, das die Hautoberfläche schützt und geschmeidig hält. Talg hat bei Menschen und den meisten Säugetieren weitere wichtige, aber weitgehend unerforschte Funktionen, wie beispielsweise den Schutz vor UVB-induzierter Apoptose (Zelltod) oder einen Beitrag zur angeborenen Immunantwort der Haut. Die Talgproduktion kann den Energiestoffwechsel im gesamten Körper beeinflussen. Eine Deregulierung der Talgdrüse ist entscheidend für die Entstehung von Akne und spielt auch bei anderen Hauterkrankungen, wie atopischer Dermatitis, einer chronischen und juckenden Entzündung der oberen Hautschichten, und Psoriasis, auch Schuppenflechte genannt, eine Rolle. Neuere Studien weisen auch darauf hin, dass die Talgproduktion wichtige immunmodulatorische Wirkungen haben und den Energiestoffwechsel des gesamten Organismus beeinflussen kann. Damit könnte die Modulation der Talgsekretion ein attraktives therapeutisches Ziel nicht nur für Hauterkrankungen, sondern auch für Infektions- und Stoffwechselerkrankungen sein.
„Ganz abgesehen von ihrer Bedeutung für die Hautgesundheit, stellen Talgdrüsen ein attraktives und zugängliches Modell dar, um grundlegende biologische Vorgänge wie die Lipidsynthese, die Arbeitsweise von Stammzellen, oder die Entstehung von Tumoren besser zu verstehen“, erläutert Prof. Dr. Marlon R. Schneider. Er leitet das Veterinär-Physiologische Institut an der Universität Leipzig und hat die Studie initiiert und betreut.
Die Veränderungen in der Genexpression der Sebozyten (Talgdrüsenzellen), die zur Talgproduktion führen, wurden jedoch noch nie im Detail untersucht. In der nun veröffentlichten Studie integrieren beide Arbeitsgruppen neuere Methoden, wie die räumliche Untersuchung der Genexpression, Pseudozeitanalyse und funktionelle Anreicherung, um die progressive Entwicklung der Talgdrüsenzellen bis hin zur Zellauflösung zu kartieren. Ausgehend von vier Stadien der Zelldifferenzierung, die durch unüberwachtes Clustering generiert wurden, zeigen die Daten eine konsekutive Modulation zellulärer Funktionen, die mit spezifischen Gensets assoziiert werden können, von der Zellproliferation und oxidativen Phosphorylierung über die Lipidsynthese bis hin zum Zelltod. Die Ergebnisse wurden durch den Vergleich mit bereits publizierten Talgdrüse-Transkriptomdaten validiert und durch die Auswertung der Proteinexpressionsmuster einer ausgewählten Untergruppe der Transkripte im öffentlich zugänglichen Human Protein Atlas weiter untermauert. Die Studie wird zudem durch ein frei verfügbares und durchsuchbares Online-Tool ergänzt.
PD Dr. Hans Binder, ehemaliger Geschäftsführer des Interdisziplinären Zentrums für Bioinformatik an der Universität Leipzig (IZBI), hebt die Bedeutung eines parallel entwickelten bioinformatischen Online-Tools hervor: „Die Methode ist stark datenorientiert. Mit dem Tool können Forschende weltweit unsere Daten durchsuchen und unabhängig analysieren“.
Durch die Kombination verschiedener Methoden lässt sich ein umfassendes und neues Verständnis der Genexpressionsdynamik, die der Talgdrüsendifferenzierung zugrunde liegt, erhalten. Die Daten deuten auf eine kontinuierliche Entwicklung der Talgdrüsenzellen durch eine konsekutive Modulation zellulärer Funktionen hin, die mit spezifischen Gensets in Verbindung gebracht werden können. Die Studie identifiziert neue Akteure in der Talgproduktion, liefert somit neue Möglichkeiten für die Modulation der Talgproduktion und zeigt zukünftige experimentelle Ansätze von medizinischer Relevanz auf.
Nächstes Ziel: Hauterkrankungen und Tränen
Im nächsten Schritt werden Genexpressionveränderungen der Talgdrüse in Zusammenhang mit bestimmten Hauterkrankungen näher charakterisiert. Insbesondere bei atopischer Dermatitis und Psoriasis, aber auch bei Talgdrüsentumoren. Für diese Untersuchungen soll die nächste Entwicklungsstufe der Methode zur räumlichen Transkriptomuntersuchung zum Einsatz kommen, bei der Ergebnisse auf Einzelzellebene möglich sind. Dr. Maria Schmidt, Erstautorin der Studie, erläutert die Bedeutung der Methode: „Die räumlich-aufgelöste Genexpression wurde erst 2020 als ‚Methode des Jahres‘ vom renommierten Wissenschaftsjournal Nature ausgezeichnet. Als Verbindung von Molekularbiologie und Mikroskopie ist sie stark datenorientiert und eröffnet, in Kombination mit ausgefeilter Bioinformatik, neuartige Einblicke in die Organisation von Lebensprozessen in Raum und Zeit mit zellulärer Auflösung.“
Neben den untersuchten Talgdrüsen der Haut erfüllen spezialisierte Talgdrüsen ganz bestimmte Funktionen im Körper. So produziert die Meibom-Drüse am Rand der Augenlider eine ölige Flüssigkeit, die die Lipidschicht („Fettphase“) des Tränenfilms bildet. Diese sorgt dafür, dass die Tränenflüssigkeit nicht verdunstet. Ist diese Lipidschicht gestört, kommt es zu Entzündungen und einem trockenen Auge. Eine ähnliche Kartierung der Veränderungen in der Genexpression bei der Meibom-Drüse durch die Wissenschaftler:innen steht kurz vor dem Abschluss.
Originalpublikation im Journal of Biological Chemistry:
„A spatial portrait of the human sebaceous gland transcriptional program“, doi: 10.1016/j.jbc.2024.107442