Die Jahrestagung des ReCentGlobe fragt nach der Zukunft der Globalisierung im Schatten tiefgreifender Veränderungen. In ihrem Panel schauen Sie auf die Entwicklungen in Afrika. Vor welche Herausforderungen sehen sich die Staaten Afrikas durch die jüngsten globalen Krisen – wie den Ukrainekrieg – gestellt?
Ein Ergebnis des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine ist der bevorstehende Ausfall eines der weltgrößten Produzenten von Weizen und Sonnenblumenöl sowie ein Anstieg der Weltmarktpreise für diese Nahrungsmittel. Einzelne Staaten auf dem afrikanischen Kontinent, z. B. Ägypten oder Äthiopien, sind in hohem Maße auf diese Importe angewiesen. Ihnen drohen deutliche ansteigende Preise für Grundnahrungsmittel, soziale Proteste und Hunger. Aber auch insgesamt werden relevante globale Warenketten einem Stresstest unterzogen. Dies hat auch Auswirkungen auf die am 1. Januar 2021 gestartete afrikanische Freihandelszone, AfCFTA.
Gleichzeitig steigt die Nachfrage vor allen Europas nach Energie. Hier stehen Staaten, die wie Ghana, Mozambique oder Tanzania gerade in die Förderung von Flüssiggas (LNG) einsteigen, vor der Herausforderung, diesen potenziellen Reichtum auch produktiv nutzen zu können – und nicht in die Falle des sogenannten Ressourcenfluchs zu fallen. In dieser Situation haben sich schon in der Vergangenheit zahlreiche autoritäre Staaten – von Nigeria bis Sudan – gesehen, deren Ölreichtum nur einer kleinen korrupten Elite zugutegekommen ist.
Neben den wirtschaftlichen Auswirkungen des Krieges in der Ukraine dürfen die unmittelbaren sozialen Auswirkungen nicht vergessen werden: Immer noch harren einige zehntausend Bildungsmigrant:innen aus Afrika in der Ukraine aus.
Wie versuchen die Staaten der Afrikanischen Union (AU), diese Situation zu bewältigen? Sehen Sie kollektive Strategien?
Hier kommt die kontinentale Organisation momentan an Grenzen: Die Mitgliedstaaten sind gespalten. Bei der Abstimmung in der Sondersitzung der UN-Vollversammlung am 2. März 2022 über die Verurteilung des Aggressionskrieges der Russländischen Föderation haben 28 von 55 Mitgliedsstaaten der AU für die Resolution gestimmt; Eritrea hat dagegen gestimmt, 17 Staaten haben sich der Stimme enthalten und 8 Staaten haben es vorgezogen, nicht an der Sitzung teilzunehmen. Was auch immer im Einzelfall die Gründe gewesen sind (eine nicht nur aus ideologischen Gründen kritische Haltung gegenüber „dem Westen“, alte Verbundenheit mit der Sowjetunion – zu der allerdings auch die Ukraine gehörte –, neue Abhängigkeiten einiger Staaten im Sicherheitsbereich usw.), deutlicher ließ sich die Uneinigkeit des Kontinents in zentralen geopolitischen Fragen kaum dokumentieren.
Die Vergemeinschaftung von Politikfeldern ist noch nicht so weit gelangt, dass die AU-Kommission in dieser Frage für die Mitgliedstaaten sprechen könnte.
Seit Mitte 2020 hat es in mehreren afrikanischen Ländern eine Reihe erfolgreicher oder versuchter Staatsstreiche gegeben. Wie hängen diese Umsturzversuche zusammen?
All dies findet in der Tat vor dem Hintergrund anhaltender politischer Krisen auf dem Kontinent statt. Die Zahl verfassungswidriger Regierungswechsel – unconstitutional changes of government, oder UCGs – hat in den vergangenen zwei, drei Jahren stark zugenommen. Vor allem in Westafrika ist es zu einer Reihe von versuchten, aber auch erfolgreichen coups d‘état gekommen (z. B. Mali 2020 und 2021, Burkina Faso 2022, Guinea 2020). Ursache dieser Putsche sind je eigene Pfadabhängigkeiten, die langjährige und vergebliche Auseinandersetzung mit gewaltsamem Extremismus und Terrorismus (Stichworte: The Group for Supporting Islam and Muslims, Islamic State in the Greater Sahara, Boko Haram usw.), und ein dramatischer Verfall des Legitimitätsglaubens an die häufig korrupten Regierungen, durch den die Handlungen der Militärs wiederum an öffentlicher Unterstützung gewinnen. Dies unterminiert auch die Rolle von Frankreich oder der EU in der Region.
Die African Union und die Economic Community of West African States (ECOWAS) treten den Putschisten zwar entschieden entgegen, auch indem sie diese von der Teilnahme in ihren Organisationen suspendieren – die Sanktionen laufen zurzeit allerdings ins Leere. Eine Rückkehr zu einer verfassungsgemäßen Ordnung ist in den meisten Fällen in absehbarer Zeit schwer vorstellbar.
Gerade dieses letztgenannte Thema steht im Rahmen der Jahrestagung im Zentrum eines Round Tables am 28. April 2022. Die Organisator:innen des Round Tables, die diesen Monat gerade das BMBF-geförderte Netzwerkprojekt „African Non-military Conflict Intervention Practices“ gestartet haben, diskutieren über diese Fragen mit Botschafter Said Djinnit, dem ersten AU Commissioner Peace and Security (2003–2008) und langjährigen Sonderbeauftragten des UN-Generalsekretärs für Westafrika (2008–2014) bzw. das Gebiet der Großen Seen (2014–2019).
Jahrestagung des ReCentGlobe:
In 14 thematischen Panels schauen bei der Jahrestagung des ReCentGlobe die Forschenden auf die sich verdichtenden Krisen in verschiedenen Weltregionen, die die Frage aufwerfen, ob sich der Rahmen für gesellschaftliche Transformationen grundlegend verschiebt: Ist die Globalisierung, wie sie seit den späten 1980er Jahren in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit gerückt ist, an ihr Ende gekommen? Gibt es einen Rückzug vom Ziel immer dichter werdender weltweiter Verflechtungen? Oder werden die globalen Herausforderungen drängender und verlangen noch stärker als in der Vergangenheit nach Antworten, die international gemeinsam gefunden werden müssen?
Dies sind Fragen, mit denen sich das Leipzig Research Centre Global Dynamics (ReCentGlobe) beschäftigt und die es in den Mittelpunkt seiner bevorstehenden Jahrestagung stellt. Um Antworten zu finden, wird historische Erfahrung mobilisiert und der vergleichende Blick auf verschiedene Weltregionen gerichtet, in denen die Zäsur in den globalen Rahmenbedingungen ganz unterschiedlich wirksam wird. Aber diese Unterschiede können nicht verdecken, dass Krieg in der Ukraine und Hunger in Teilen Afrikas ebenso miteinander zu tun haben wie die Veränderung des Amazonas mit der Zukunft von Inselstaaten im Pazifik.