Die angeborene Zwerchfellhernie ist eine häufige Erkrankung und tritt bei einem von 2.500 Neugeborenen auf. Bis zu 30 Prozent der betroffenen Säuglinge sterben daran. Das Hauptproblem ist die unterentwickelte Lunge. Das Krankheitsbild umfasst zudem ein Loch im Zwerchfell, das von Kinderchirurg:innen korrigiert wird, indem sie es in der ersten Lebenswoche operativ verschließen. Bisher gibt es in der Medizin wenig Erkenntnisse dazu, wie die angeborene Zwerchfellhernie entsteht, also was genau in der Entwicklung des Embryos schiefgeht. Dr. Richard Wagner, Kinderchirurg und Wissenschaftler der Universitätsmedizin Leipzig, hat gemeinsam mit Forschenden des Massachusetts General Hospital in Boston an der Harvard Medical School ein neues Patienten-spezifisches Zellmodell etabliert und daran mögliche Behandlungsansätze dieser Krankheit untersucht.
Kinder mit einer angeborenen Zwerchfellhernie werden direkt nach der Geburt intubiert und beatmet. „Wir konnten aus dem Sekret, das aus den Lungen der Kinder abgesaugt und sonst entsorgt wird, Stammzellen isolieren und im Labor anzüchten“, erklärt Dr. Wagner, Erstautor der Studie. Während seines Postdoc-Aufenthalts in den USA untersuchte der Leipziger Mediziner gemeinsam mit den amerikanischen Forschenden die Stammzellen im Labor und entwarf Zellmodelle von den Luftwegen der kleinen Patient:innen. Dadurch bekamen sie zum ersten Mal Zugang zu menschlichen, „lebendigen“ Lungengeweben von Erkrankten mit angeborener Zwerchfellhernie. Sie verglichen dann die Stammzellen von gesunden und unterentwickelten Lungen.
Ziel: Bereits in der Schwangerschaft behandeln
Bei der Untersuchung auf die molekularen Eigenschaften der Stammzellen stellten die Forschenden fest, dass diese entzündlich verändert sind. Aber die Funktionalität konnte durch eine medikamentöse Therapie im Zellmodell wiederhergestellt werden. „Diesen Vorgang haben wir auch im Tiermodell getestet und konnten zeigen, dass die Therapie dort ebenfalls zu einer besseren Entwicklung der Lunge beiträgt. Wir konnten also mit der gleichen medikamentösen Therapie sowohl in der Petrischale bei menschlichen Zellen als auch im lebenden Organismus beim etablierten Tiermodell positive Effekte erzielen“, erklärt Dr. Wagner.
Die Therapie wurde mit Dexamethason, einem Steroid, durchgeführt. Diese Medikamente werden im klinischen Alltag bereits eingesetzt, wenn in der Schwangerschaft eine Frühgeburt droht, um die Lungenreife des Fötus zu induzieren. „Das Attraktive ist, dass wir bereits wissen, dass dieses Mittel in der Schwangerschaft nicht schädlich ist. Wenn wir weitere Daten in der Laborforschung erheben, wäre es möglich, später in klinischen Studien zu untersuchen, ob es Vorteile hat, wenn man das Mittel in der Schwangerschaft gibt. Um die mögliche Entzündung im Organismus zu bremsen und dem Lungenwachstum zu helfen“, sagt Dr. Wagner. Ziel sei es künftig, direkt nach der Diagnose einer Zwerchfellhernie, die etwa in der 20. Schwangerschaftswoche geschieht, mit einem Medikament intervenieren zu können.
Originalpublikation in American Journal of Respiratory und Critical Care Medicine:
"A Tracheal Aspirate-Derived Airway Basal Cell Model Reveals a Proinflammatory Epithelial Defect in Congenital Diaphragmatic Hernia", Doi: https://doi.org/10.1164/rccm.202205-0953OC