1. Können Sie sich noch an Ihre ersten Studientage erinnern – wie war Ihr erster Eindruck von der Universität Leipzig?
Aus der allerersten Vorlesung, der Einführungsveranstaltung für alle Erstis, bin ich buchstäblich rückwärts wieder rausgeschlichen. Wir waren zu spät, der Hörsaal war voll und stattdessen haben wir uns Rubbellose gekauft. Das war ein Fehler, in dieser Veranstaltung erfährt man viele wichtige Dinge. Nachdem ich die Kürzel der einzelnen Gebäude entschlüsselt hatte, wurde es einfacher und sehr schnell hat sich ein sehr gutes Gefühl eingestellt, das bis heute anhält: Teil eines komplexen Systems zu sein, das Erstaunliches hervorbringt.
2. Wenn Sie zurückblicken, wie würden Sie Ihr Studium kurz beschreiben?
Für mich war das Studium notwendige, intensive und oft ambivalente Selbstfindung, während der ich mich ausgezeichnet amüsiert habe.
3. Haben Sie jemals an Ihrer Studienwahl gezweifelt? Wenn ja, wie sind Sie damit umgegangen?
Von situationsbedingten Mikrozweifeln in Überforderungssituationen bis zu existenziellen Zweifeln war eigentlich alles dabei. Nach dem ersten Semester hätte ich fast aufgehört. Aber ich habe auch schnell verstanden, dass Zweifel ein erwünschtes Nebenprodukt meines langsam erwachenden Verstandes sind. Sie erzeugten Entscheidungszwang und Selbstwirksamkeit und haben mich immer wieder aus meiner Komfortzone getrieben. Sie halfen dabei, das Mindset „Schule“ abzustreifen, in dem man lernt, was auf den Tisch kommt und zwangen mich stattdessen mein eigenes Profil zu entwickeln.
4. Welche Motivationen haben Ihre Studien- bzw. Berufswahl bestimmt?
Ich wollte auf gar keinen Fall einen Studiengang, an dessen Ende ein bestimmtes Berufsbild steht, die Vorstellung hat mich als 19-Jährige extrem beunruhigt und eingeengt. Dann habe ich ein bisschen gelesen und bin in Texten über Medientheorie auf Begriffe gestoßen, die mystisch und verheißungsvoll klangen: Nachrichtenwert, Gatekeeper, Schweigespirale. Da war ich überzeugt.
5. Was waren wichtige Stationen auf Ihrem beruflichen Weg?
Eine wichtige Station war, die Uni Leipzig als Arbeitgeberin wahrzunehmen. Am Anfang habe ich als Probandin an kleinen wissenschaftlichen Experimenten teilgenommen, dann war ich studentische Hilfskraft und Zeichenmodell. Keine dieser Tätigkeiten tauchen in meinem jetzigen Arbeitsalltag auf, aber in allen war ich immer direkt oder indirekt an Lern- und Entwicklungsprozessen beteiligt und habe verstanden, dass ich genau das machen möchte: Menschen bei der Entwicklung zentraler Kompetenzen, ihrer Persönlichkeit und ihres professionellen Profils zu unterstützen.
6. Wie sehr hat Ihr Studium Ihre jetzige berufliche Tätigkeit geprägt? Gibt es einen Zusammenhang zwischen Ihrem Studium und Ihrer Tätigkeit? Können Sie noch Dinge aus Ihrem Studium nutzen?
Da ich die Uni seit Studienbeginn nie wirklich verlassen habe, fällt es mir manchmal schwer, die Entwicklungsprozesse der letzten Jahre voneinander zu trennen. Viele Kerntätigkeiten des Studierens wie immersives Lesen, die Produktion von Texten, sich mit dem deutschen Wissenschaftssystem auseinanderzusetzen, Hochschulpolitik und -verwaltung zu verstehen, begleiten mich bis heute. Zudem fühle ich mich auch noch sehr nahe an der Frage, wie nachhaltige Kompetenzentwicklung gestaltet werden muss, weil ich diese selbst im Studium oft erfahren und teilweise vermisst habe.
7. Wie sieht ein typischer Arbeitstag in Ihrer jetzigen Position aus?
Vor Corona haben bei uns fast täglich Qualifizierungsveranstaltungen stattgefunden, die ich koordiniert habe, zwischendurch gab es sachbezogene Termine mit Kolleginnen und Kollegen oder regelmäßige Beratungen. Aktuell findet viel online statt. In den Planungsphasen telefoniere ich viel, stimme Termine ab und halte kleine Klausuren zur Konzeption der Inhalte und Formate ab. Der strategische und der kreative Teil meiner Arbeit machen mir am meisten Spaß. Man weiß nie, was einen inspirieren wird, ständig gibt es kleine Impulse, die dann ganze Projekte auslösen. So ist zum Beispiel unsere interdisziplinäre Schreibwerkstatt entstanden oder das Gemüsebeet, das wir als Team angelegt haben.
8. Was sind die wichtigsten drei Kompetenzen in Ihrem Arbeitsalltag?
Auf die Gefahr hin, dass sich meine Fachkolleginnen und -kollegen daran stören, dass ich die folgenden Begriffe hier freimütig als Kompetenzen bezeichne: Adaptivität, Neugier und Zuhören.
9. Wie gelingt Ihrer Meinung nach ein guter Berufseinstieg in Ihrer Branche (Einstiegswege, Bewerbungstipps, etc.)?
Um an der Uni, im Wissenschaftsmanagement oder der Graduiertenausbildung zu arbeiten, empfiehlt sich zum Beispiel eine Promotion. Die bringt einen nahe an die Realitäten des Wissenschaftssystems und lehrt einen im Idealfall sich souverän darin zu bewegen. Ich bin nicht promoviert und einige meiner Kolleginnen auch nicht, wir haben uns über studentische und wissenschaftliche Hilfskrafttätigkeiten an den Unibetrieb rangetastet. Wer sich allgemein für Erwachsenenbildung oder Personalentwicklung interessiert, kann zum Beispiel Psychologie studieren oder Erwachsenenpädagogik oder hier in Leipzig den Master Begabungsforschung und Kompetenzentwicklung.
10. Was würden Sie den heutigen Studienanfänger/innen mit auf den Weg geben?
Auf jeden Fall in die Einführungsveranstaltung gehen und generell lieber ein bisschen häufiger in die Vorlesungen, auch wenn die Folien danach in Moodle gestellt werden. Und die Uni richtig kennenzulernen. Es gibt so viele Angebote, Initiativen und Unterstützung, die viele nicht kennen und deshalb nicht nutzen. Außerdem würde ich mir eine stärkere Willkommenskultur für internationale Studierende wünschen. Alle Muttersprachlerinnen und Muttersprachler können unterstützen, egal ob bei der Gruppenarbeit oder indem sie das deutsche Verwaltungsprozedere erklären.
Persönliche Angaben
- Name: Juliane Rein
- Geburtsjahrgang: 1993
- Studiengang: Kommunikations- und Medienwissenschaft (B.A.), Begabungsforschung und Kompetenzentwicklung (M.A.)
- Jahr der Immatrikulation: 2012
- Jahr der Exmatrikulation: voraussichtlich 2021
- Heutiger Arbeitgeber/Position: Research Academy Leipzig/ Programmkoordinatorin Kompetenzschule
(Interview Stand August 2020)