Sie bieten ab Mitte 17. Juni 2024 erstmals den Kurs "Stressreduktion durch naturbasierte Achtsamkeit" an. Welche Beweggründe gab es, ihn zu etablieren?
Ich bin seit 2007 Professorin an der Universität Leipzig und habe langjährige Erfahrung mit der Lebenssituation von Student:innen und Nachwuchswissenschaftler:innen. Dabei konnte ich immer wieder feststellen, unter welch großen psychischen Belastungen sie stehen. Dies hat eine Vielzahl von Gründen, beispielsweise einen hohen Leistungs- und Konkurrenzdruck, Prüfungsangst, soziale Isolation und Kommunikationsprobleme. Dabei ist mir als Entwicklungspsychologin besonders bewusst, dass junge Erwachsene – und ältere Jugendliche, die im Übergang zum Erwachsenenalter stehen – auch außerhalb der Universität vielen Herausforderungen gegenüberstehen; das betrifft die Gestaltung des Alltags ebenso wie tiefgreifende gesellschaftliche Probleme wie die Klimakrise, den Biodiversitätsverlust oder Terroranschläge und Kriege weltweit.
Ich möchte deshalb ein niedrigschwelliges Angebot von achtsamkeitsbasierten Gruppenkursen speziell für Student:innen und Nachwuchswissenschaftler:innen anbieten. Die Kurse, die alle von geschulten und erfahrenen Meditationslehrer:innen geleitet werden, unterstützen die Teilnehmenden dabei, ihr inneres Gleichgewicht zu finden und zu stabilisieren sowie neue Perspektiven und Gestaltungsmöglichkeiten zu gewinnen.
Was ist das Neue, Außergewöhnliche an dem Kurs „Stressreduktion durch naturbasierte Achtsamkeit“?
Das Neue an dem Kurs „Stressreduktion durch naturbasierte Achtsamkeit“ ist, dass er die wohltuenden Wirkungen zweier Faktoren, die der Achtsamkeit und die der Naturbegegnung, nutzt, indem Achtsamkeitspraxis nach draußen in die Natur verlagert wird.
Achtsamkeit kann man verstehen als die willentliche Lenkung der Aufmerksamkeit auf den gegenwärtigen Moment und das wertfreie Wahrnehmen aller Phänomene im Inneren und Äußeren wie beispielsweise Gefühle, Gedanken oder Körper- und Sinnesempfindungen. Das wertfreie Wahrnehmen aller Erfahrungen von Moment zu Moment, das wir im Rahmen von Meditationen üben, ist wohlgemerkt keine Entspannungstechnik und kann mitunter sogar anstrengend sein, denn wir geben allen Erfahrungen Raum und das sind eben gerade bei Menschen, die unter chronischem Stress leiden, auch unangenehme Erfahrungen. Wenn wir aber dadurch unseren oft automatisierten Bewertungs- und Handlungsmustern auf die Schliche kommen, können wir wählen, ob wir ihnen weiterhin folgen oder neue Wege einschlagen möchten, die mit unserem Wunsch nach einem sinnerfüllten und freudvollen Leben eher kompatibel sind.
Unabhängig hiervon wurde nachgewiesen, dass Naturbegegnungen wohltuende Wirkungen auf unseren Geist und Körper haben. Eine halbe Stunde in der Natur spazieren gehen ist erholsam, halbstündige Spaziergänge in der Stadt nicht oder sehr viel weniger. Interessant ist auch eine Studie, die belegen konnte, dass Krankenhauspatient:innen mit Zimmern, die einen Blick ins Grüne erlauben, schneller und mit weniger Schmerzen Operationen überstehen als Patient:innen mit Zimmern, die den Blick auf Backsteinmauern freigeben. Es gibt verschiedene Theorien, die sich mit den Gründen für solche wohltuenden Effekte beschäftigt haben. Sie alle gehen davon aus, dass wir Menschen eine natürliche oder angeborene Tendenz haben, uns von Naturphänomenen faszinieren zu lassen, Natur zu mögen und beim Eintauchen in die Natur positive Gefühle erleben, die uns entspannen und Stress lindern können.
Sie setzen also auf Stressabbau durch Naturempfinden und verstärkte Achtsamkeit?
Ja. Die Idee für einen Stressreduktionskurs, der die wohltuenden Wirkungen von Achtsamkeit und Naturbegegnung verknüpft, liegt nahe, denn beides wirkt, wenn auch auf höchst unterschiedliche Weise, stressmindernd. Zudem gehe ich davon aus, dass sich die Wirkungen der Achtsamkeitspraxis und Naturbegegnung wechselseitig verstärken. Einerseits fällt es uns in einer wohltuenden natürlichen Umgebung, in der wir entspannt sind und uns aufgehoben fühlen, vermutlich leichter, auch schwierigen Gedanken und Gefühlen Raum zu schaffen, ohne uns in ihnen zu verlieren. Andererseits ist die Achtsamkeit ein Mittel, die uns umgebende Natur tief und bewusst wahrzunehmen. Während einer achtsamen Sinnesaktivierung in der Natur sind wir ganz und gar im Moment und der sinnlichen Wahrnehmung: Wir hören das Brummen von Insekten, das Singen der Vögel, riechen das frisch gemähte Gras, spüren den weichen Waldboden unter den Füßen oder die warme Sonne auf der Haut. So sollten die wohltuenden Wirkungen der Naturbegegnung, die auch dann schon nachweisbar sind, wenn wir die Natur nur als Kulisse für andere Tätigkeiten behandeln, beispielsweise um zu joggen oder mit Freunden zu picknicken, noch stärker werden.
Wie kann man das trainieren?
Mit achtsamkeitsbasierten Meditationsübungen. Auch in unserem Kurs üben wir uns darin, unsere Aufmerksamkeit ganz bewusst zu lenken, und zwar immer auf die Gedanken, Gefühle, Körper- und Sinnesempfindungen, die von Moment zu Moment aufkommen, eine Weile bleiben und sich wieder auflösen. Damit unterstützen wir eine größere Bewusstheit und Anerkennung einerseits des Reichtums an inneren Erfahrungen und andererseits des Reichtums der uns umgebenden Naturphänomene.
Während der Kurstermine werden verschiedene individuelle Meditationen angeleitet und es gibt viel Raum zum Austausch der Erfahrungen, die während der Meditation gemacht werden. Unsere geschulten und erfahrenen Kursleiter:innen geben in jeder Kurseinheit einen theoretischen Input zu verschiedenen Themen, die sich auf Achtsamkeit, Naturverbundenheit, den Umgang mit chronischem Stress und den Aufbau von inneren Ressourcen beziehen.
Das Wesen der Achtsamkeit liegt in der ungeteilten Aufmerksamkeit für den gegenwärtigen Moment. Es geht darum, sich auf das zu besinnen, was geschieht und damit um die Befreiung von Projektionen und solchen automatisierten Bewertungs- und Handlungsmustern, die uns nicht guttun. Das ist der Grundstein, der uns Stabilität und Widerstandsfähigkeit in stürmischen Zeiten gibt und gleichzeitig Perspektiven für neue Gestaltungsmöglichkeiten eröffnet.
Hinweis
Der erste Kurs "Stressreduktion durch naturbasierte Achtsamkeit" beginnt am 17. Juni. Anmeldungen sind online möglich. Er ist das erste von drei geplanten Kursformaten und richtet sich an Student:innen und Nachwuchswissenschaftler:innen der Universität Leipzig sowie anderer Leipziger Universitäten und Forschungseinrichtungen. Die Teilnahme ist kostenlos, da sie von dem Projektpartner AOK PLUS gefördert werden.