Militär, Landwirtschaft, Sport, Transport oder treue Begleiter – wie kein anderes Tier ist das Pferd eng mit Geschichte und Kultur der Menschheit verwoben. Prachtvolle Körper, glänzendes Fell und das Schnauben der Nüstern; Hochzeitskutschen, reitbegeisterte Pferdefans und die faszinierende Stimmung der Galopprennbahnen, sind Bilder, die wir mit dem Thema Pferd verbinden. Die Messe „Partner Pferd“ verzeichnet in Leipzig jährlich einen großen Ansturm.
Die Diskussion über das Verhältnis der Menschen zu den Pferden berührt vielfältige Aspekte, vergangene und gegenwärtige. „Was macht unsere gemeinsame Geschichte aus? Wie stark waren wir im Verlauf der Entwicklung voneinander abhängig? Und vor allem: Welche Wege wollen und werden wir in dieser so langen Beziehung weiterhin einschlagen?“, diese Fragen wirft Kulturwissenschaftler Mustafa Haikal auf, Kurator Doppelausstellung „Von der Schönheit und den Leiden der Pferde“.
Die sächsische Veterinärmedizin hat ihren Ursprung in Dresden, wo 1780 die Königliche Tierarzneischule begründet wurde. Das Pferd als täglicher Begleiter – ob in der Landwirtschaft, als Reit- und Lasttier oder als Statussymbol – stand von Beginn an im Fokus der Ausbildung. Dresden mit dem Marstall des Königs und den Ställen der Adelsfamilien, den großen Kavalleriekasernen und der Militärreitschule war für viele Jahrhunderte das Zentrum in Sachsen. Nur zu Messezeiten lief Leipzig der Residenz den hippologischen Rang ab und konnte zudem auf eine Pferdemesse von europäischer Ausstrahlung verweisen.
Mit der Gründung der Veterinärmedizinischen Fakultät der Universität Leipzig 1923 und dem damit einhergehenden Ende der Dresdner Tierärztlichen Hochschule gelangte auch ein Großteil der pferdemedizinischen Sammlungen in die Messestadt. „Die schiere Masse der Bestände der Universitätsbibliothek und der Veterinärmedizinischen Fakultät spiegelt die Bedeutung, die das Pferd für den Menschen hatte. Auch deshalb war uns schnell klar, dass wir an zwei Orten eine Auswahl präsentieren werden“, erklärt Prof. Dr. Ulrich Johannes Schneider, Direktor der Universitätsbibliothek. Die beiden Teile der Ausstellung ergänzen sich und gewähren erstmals Einblicke in die Dresdner Schulgeschichte und der sich entwickelnden europäischen Veterinärmedizin.
Themenschwerpunkte: Zergliedern, Vermessen und Heilen
Der Ausstellungsteil in der Bibliotheca Albertina bietet einen geschichtlichen Überblick über die medizinische Beschäftigung mit Pferden im 19. Jahrhundert. Gezeigt werden großformatige Lehrwerke und Abhandlungen sowie anatomische Modelle. Die Präsentation steht unter drei Themenschwerpunkten: Zergliedern, Vermessen und Heilen. Im ersten Bereich werden die drei großen Autoren der Pferdeanatomie vorgestellt: der Italiener Carlo Ruini (1530–1598), dessen bahnbrechende „Anatomie der Pferde“ von 1598 unter anderem als erste deutschsprachige Auflage von 1603 in der Ausstellung gezeigt wird. der Engländer George Stubbs (1724–1806) und der Franzose Philippe Etienne Lafosse (1739–1820). Die Lehrmaterialien sind so detailliert gearbeitet, dass sie ihre eigenen Vorzüge gegenüber moderner Fotografien genießen.
Stallmeister schrieben die ersten Bücher über Pferde und begannen, sie zu vermessen: Die Proportionen des Körpers, der Glanz des Fells und die Spannkraft des Auftritts waren wichtige Zeichen und Hinweise. Sie versprachen Aufschluss über das Temperament und die Gesundheit der Tiere, ihre Leistungsfähigkeit und die Eignung zur Zucht. Die Ausstellung zeigt, wie über Jahrhunderte hinweg kein anderes Thema der Pferdeliteratur zu so leidenschaftlichen Debatten geführt hat. Denn die Lehre von der Schönheit und den Fehlern der Pferde bildete das Zentrum, den innersten Kern des hippologischen Wissens.
Im dritten Bereich werden schließlich die Ergebnisse der deutschlandweit beispiellosen Zusammenarbeit zwischen Veterinärmedizinern und Künstlern gezeigt. Die Mitarbeiter der Dresdner Tierarzneischule übernahmen Lehraufträge in der nahegelegenen Kunstakademie, die gemeinsame Arbeit bereicherte nicht zuletzt die jeweiligen Sammlungen.
Die in der Galerie im Neuen Augusteum gezeigten Objekte stammen aus den Sammlungen der an der Ausstellung beteiligten veterinärmedizinischen Einrichtungen der Universität Leipzig: der Veterinär-Anatomischen Lehrsammlung, den Sammlungen des Instituts für Veterinär-Pathologie und der Hufbeschlagschule sowie der Veterinärmedizinhistorischen Sammlung. Auch wenn diese auf die historischen Strukturen des 19. Jahrhunderts zurückgehen, sind die meisten Exponate im 20. Jahrhundert entstanden. Schönheit und Leiden der Pferde bilden die beiden Pole der Ausstellung. Schönheit kommt in einer Reihe von eindrucksvollen Kupferstichen und Lithographien zum Ausdruck, die die Dresdner Veterinärbibliothek bereits in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts erwarb. Hier spiegelt sich die Begeisterung der Zeitgenossen für edle Tiere und besondere Pferderassen wider, gleichzeitig sind genaue Kenntnisse der Pferdeanatomie ablesbar.
Eine ganz eigene ästhetische Qualität besitzt der umfangreiche Bestand an handgezeichneten, mitunter monumentalen historischen Lehrtafeln. Diese Schaubilder, die über Generationen hinweg in der Lehre eingesetzt wurden, sind häufig von bestechender Präzision und illustrieren die Geschichte der jeweiligen Fachdisziplin. Sie zeugen nicht nur von den didaktischen Absichten der Professoren, sondern auch von der Kunstfertigkeit der Zeichner. Zu sehen sind unter anderem Tafeln zu Knochenbau, Nervensystem und Organen des Pferdes sowie zu mikroskopischen Befunden.
Die vielfältigen Leiden der Pferde werden in den ausgestellten Präparaten und Modellen, aber auch in einer Reihe von Objekten aus der Zeit des Ersten Weltkriegs thematisiert. Neben einem vollständigen Pferdeskelett veranschaulichen besonders die Präparate tierischer Organe einzelne Krankheitsbilder. Die tierärztliche Behandlung von Krankheiten erfordert ein spezielles Instrumentarium, das in Vitrinen ausgestellt wird. Beispiele aus der Sammlung historischer Hufeisen zeigen hingegen, wie sich der Hufbeschlag der Pferde über Jahrhunderte verändert hat.
Die Öffnungszeiten
Die Ausstellung in der Bibliotheca Albertina (Beethovenstraße 6, 04107 Leipzig) ist täglich von 10 bis 18 Uhr zu sehen. Die Schau in der Galerie im Neuen Augusteum (Augustusplatz 10, 04109 Leipzig) kann dienstags bis freitags von 11 bis 18 Uhr und samstags von 11 bis 14 Uhr besichtigt werden (an Feiertagen geschlossen). Der Eintritt ist an beiden Orten frei. Zur Ausstellung ist der gleichnamige, 256-seitige Katalog von Mustafa Haikal bei wbg Theiss mit zahlreichen farbigen Abbildungen erschienen.
Pressefotos sind unter diesem Link verfügbar.