Pressemitteilung 2003/433 vom

Politikwissenschaftler der Universität Leipzig untersuchen in einem DFG-Projekt die Bedingungen für eine gelingende Regionalisierung: Es gibt Regionen, die werden zunächst "erfunden" von politischen Akteuren. Aus Sicht der Politikwissenschaft gelten sie als "politische Programmregion". Ob das vorgestellte Konstrukt sich zum Leben erwecken lässt, nicht allein Beachtung, sondern auch Zustimmung findet, hängt von den Bewohnern vor Ort ab. Sie gestalten die Idee zur "Wahrnehmungsregion" und entscheiden - im Zuge dieses Prozesses -, ob die Regionalisierung eine "gelingende" ist.

Hinter Prof. Wolfgang Fach und PD Dr. Wolfgang Luutz liegt das erste Jahr ihres DFG-Projekts. 23 Interviews sind aufgenommen, Unterlagen von Vereinen, Behörden, Gruppen ebenso wie die Regionalausgaben der "Leipziger Volkszeitung" ausgewertet - der Südraum Leipzig ist "beackert". Jetzt laufen im Raum Torgau-Oschatz-Döbeln die Gespräche, parallel werden dort Dokumente und Medien analysiert. Für die Studie "Von der Programmregion zur Wahrnehmungsregion - symbolische und institutionelle Bedingungen 'gelingender' Regionalisierung" haben die beiden Leipziger Politikwissenschaftler zwei Gebiete ausgewählt, die sich im strukturellen Umbruch befinden. "Aber unser Interesse richtet sich weniger auf den wirtschaftlichen Aufschwung", erklärt Dr. Wolfgang Luutz, der das Projekt bearbeitet. "Wir wollen vielmehr wissen: Kann Regionalisierung gelingen, auch wenn sich der Erfolg verzögert oder sogar ausbleibt?" Oder anders gefragt: "Welche institutionellen und symbolischen Bedingungen hemmen oder befördern eine Regionalisierung?" Die Antwort wollen Prof. Fach und Dr. Luutz aus dem Vergleich zwischen dem Südraum Leipzig und dem Gebiet Torgau-Oschatz-Döbeln gewinnen.

Ausgangspunkt ist die These: Damit das Projekt einer Region gelingt, bedarf es einer breiteren institutionellen Basis als die der politisch-administrativen Akteure; vor Ort entscheiden Akteure aus Vereinen und Wirtschaft über das Gelingen oder Misslingen der Regionalisierung. "Wenn sie sich regional orientieren", erläutert Dr. Luutz, "dann ist das ein Indiz dafür, dass das Projekt auf einer breiteren Basis steht." Um dies zu ergründen, bewegen sich Prof. Fach und Dr. Luutz auf drei Ebenen: Zum einen führen sie leitfadenstrukturierte Interviews mit relevanten Akteuren vor allem aus Heimat- und Kulturvereinen sowie punktuell aus regionalen Entwicklungsagenturen, aus wirtschaftlichen und mit politisch-administrativen Gruppierrungen. Zum anderen analysieren und vergleichen sie - auf Grundlage der These, wirklich ist eine Region dann, wenn über sie gesprochen wird - die mediale Präsenz des Projektes. Und schließlich beleuchten sie die Texte der Akteure wie zum Beispiel Infobroschüren, Marketingpublikationen und Internetseiten unter dem Aspekt der symbolischen Selbstinszenierung.

Im Leipziger Südraum ist die Erhebung inzwischen soweit fortgeschritten, dass sich einige Prozesse der Regionalisierung bereits abzeichnen. "In dieser Region", resümiert Dr. Wolfgang Luutz, "haben die Akteure ein gemeinsames Thema." Das wurzelt in einer gemeinsamen Vergangenheit - Stichworte Braunkohle und Chemie. Eine Vergangenheit, die im Spannungsfeld zwischen Innovation und Umweltzerstörung neben destruktiven auch konstruktive Charakteristika aufzuweisen hat. "Neben den die Umwelt schädigenden Wirkungen war ja mit dem Beginn Industrialisierung auch eine starke innovative Kraft verbunden", erläutert Dr. Luutz. Und zudem eine Vergangenheit, die in eine gemeinsame Aufgabe mündet - Stichworte Sanierung und Rekultivierung. Den Akteuren vor Ort ist es im Diskurs gelungen, an ihre gemeinsame Geschichte anzuknüpfen. "Sie haben ein gemeinsames Problem, und sie haben eine gemeinsame Vision", resümiert Dr. Luutz. Stichwort Naherholung im "Leipziger Neuseenland".

Das Feld der Regionalpolitik ist in der Politikwissenschaft inzwischen intensiv bestellt. Neue Regionen werden nicht mehr über territoriale Grenzen definiert, sondern als Netzwerke verstanden. Doch entweder lassen sich die Autoren von der wirtschaftlichen Strukturpolitik als prägendem Faktor von Region leiten. Oder Region wird - angesichts des europäischen Prozesses - als politisches Subjekt unterhalb und ergänzend zur Ebene des Nationalstaates interpretiert. "Wir versuchen, ein Stück weiter zu kommen", sagen die beiden Leipziger Politikwissenschaftler.

Ihre Untersuchung ist aus dem Sonderforschungsbereich 417 (SFB) "Regionenbezogene Identifikationsprozesse - das Beispiel Sachsen" hervorgegangen. Dieser war bis zum Sommer 2002 über vier Jahre hinweg von der Deutschen Forschungsgemeinschaft gefördert worden; das Buch von Dr. Wolfgang Luutz - Region als Programm - Zur Konstituierung 'Sächsischer Identität' im politischen Diskurs" (Nomos Politik 2002) - geht auf diese Forschungsphase zurück. Inzwischen lebt der Gedanke des SFB 417 im Verbund "Symbolische und soziale Konstruktionen von Räumen" fort, dem unter anderem Historiker, Geographen, Kultur- und Politikwissenschaftler der Universität Leipzig angehören. In diesem Kontext und mit Förderung der DFG verfolgen Prof. Fach und Dr. Luutz ihr Projekt über zwei Jahre hinweg weiter, wobei sie sich von der Gesamtregion Sachsen hin zu den beiden Subregionen Südraum Leipzig sowie Torgau-Oschatz-Döbeln gewandt haben.

Prof. Fachs und Dr. Luutz' Blick auf symbolische und institutionelle Bedingungen öffnet den Begriff der Regionalisierung für den Ansatz einer kulturellen Einbettung der Wirtschaftsprojekte. Anknüpfend an den Gedanken, neue Regionen ent- und bestehen im Zuge von Public Private Partnership, prüfen sie kritisch die These, lediglich erfolgreiche wirtschaftliche Modernisierung präge ein Regionalbewusstsein aus. "Jetzt stellen wir erst einmal die Frage, ob auch bei ausbleibendem oder bei verzögertem wirtschaftlichem Erfolg ein Freiraum offen bleibt für eine kulturelle Modernisierung."