Wirkungsweise von GPCRs und Anwendung in der Medizin
GPCRs sind eine große Familie von Rezeptoren, die in der Zellmembran fast aller lebenden Organismen sitzen. Für die Zellkommunikation zuständig, wirken sie wie Sensoren zwischen den Zellen, bereit, spezifische Signale zu erkennen, und ins Zellinnere weiterzuleiten. Dort lösen sie eine spezifische Reaktion der Zelle aus oder stoßen eine interne Signalkette an und übernehmen damit eine Schlüsselrolle bei der Signalübertragung. Ohne GPCRs könnten wir beispielsweise weder sehen noch riechen oder Süßes schmecken, auch die Kommunikation zwischen Zellen, zum Beispiel im Gehirn, bräche zusammen.
GPCRs interagieren mit verschiedenen Molekülen, sogenannten Liganden (Botenstoffen), die selbst die Zellmembran nicht durchdringen können und deshalb auf einen Rezeptor angewiesen sind. Durch ihre Bindung verändert sich die Struktur der in die Zelle hineinragenden Proteinkette des Rezeptors. Diese Dynamik ermöglicht die Erkennung und Aktivierung von intrazellulären Partnermolekülen, wie beispielsweise G-Proteinen oder Arrestinen, Proteine, die eine wichtige Rolle bei der Abschaltung der Signale spielen.
Als regelrechte Universalgenies der Signalübertragung nehmen GPCRs eine entscheidende Rolle in der Wirkstoffforschung ein. Etwas mehr als 30 Prozent aller zugelassenen Medikamente – zum Beispiel Vomex bei Übelkeit, Cetirizin bei Allergien oder Sumatriptan bei Migräne – wirken über die biologischen Prozesse dieser Rezeptoren. Allerdings bleibt ein Großteil ihres Potenzials bislang ungenutzt, da das komplexe Zusammenspiel zwischen Liganden, GPCRs und intrazellulären Signalmolekülen nur unzureichend erforscht ist.
Die Wissenschaftler:innen des SFBs1423 wollen genau diese verschiedenen hochdynamischen Zustände, die sich in ihren Funktionen unterscheiden, entschlüsseln. Ihre besondere Aufmerksamkeit gilt dabei den Peptidrezeptoren und den Adhäsions-GPCRs, da über ihre Wirkmechanismen bisher am wenigsten bekannt ist. Ihre Erkenntnisse zu den strukturellen Dynamiken dieser Rezeptoren vergleichen sie mit gut erforschten adrenergen (auf Adrenalin reagierenden) und muskarinischen (auf das Pilzgift Muskarin reagierenden) Acetylcholin-Rezeptoren. Daraus wollen sie allgemeine Mechanismen und Unterschiede zwischen den verschiedenen Gruppen ableiten und verstehen.
Bisherige Ergebnisse
SFB-Forscher:innen aus den Lebenswissenschaften, der Medizin, Pharmazie und Bioinformatik konnten bereits bedeutende Erkenntnisse gewinnen, die die pharmakologische Wirkstoffforschung beflügeln. Ein einzigartiger, synergetisch kombinierter Mix aus verschiedenen Methoden – wie die Entwicklung spezifischer Liganden, kristallographische Analysen, Kryo-Elektronenmikroskopie, NMR (Kernspinresonanz)-basierte Strukturanalysen, Mutagenese, funktionelle Analysen, fluoreszenzbasierte Methoden und computerbasierte Molekülmodellierung – war und ist dabei entscheidend.
„Bisher wurden unsere Forschungsergebnisse in über 120 Publikationen veröffentlicht. Dabei konnten wir wesentliche strukturelle Daten beitragen, hier insbesondere für die Systeme der Neuropeptid-Y- und der Melanocortin-Rezeptoren. Zudem können wir das Bindungsverhalten von agonistischen Liganden, allosterischen Modulatoren und Antagonisten nun besser verstehen“, sagt Annette Beck-Sickinger. „Die physiologischen Signale und molekularen Funktionen zahlreicher dieser Rezeptoren waren bisher unverstanden und konnten bereits in der ersten Förderperiode geklärt werden. So gelang durch die Zusammenarbeit mehrerer Gruppen innerhalb des SFB und mit internationalen Kooperationspartnern die Identifizierung und strukturelle Charakterisierung bisher unbekannter Mechanorezeptoren (sog. Adhäsions-GPCR). Diese Rezeptoren spielen bei Zell-Zell- und Zell-Umgebung-Wechselwirkungen eine entscheidende Rolle und haben ein hohes Potenzial als Tumormarker und Angriffspunkte bei zukünftigen Krebstherapien. Auch scheint die Signalvermittlung von GPCRs innerhalb einer Zelle räumlich hoch organisiert zu sein und so in Abhängigkeit vom Signal und der Signalstärke unterschiedliche zelluläre Reaktionen auszulösen – ein Mechanismus der bisher noch unzureichend verstanden und deshalb nicht therapeutisch genutzt wird“, ergänzt Torsten Schöneberg.
Künftige Forschungsfragen, wachsende Expertise und strukturelle Weiterentwicklung
Lag der Fokus in der ersten Förderperiode eher auf der Charakterisierung der GPCRs, soll in den kommenden vier Jahren auf die Dynamik geschaut werden. „Wir wollen die strukturellen Dynamiken in verschiedenen Aktivierungszuständen aufklären, die mit GPCR-Funktionen verknüpft sind. Dabei werden wir den Fokus auf die Mechanismen von Peptid-GPCRs und Adhäsions-GPCRs beibehalten, um gemeinsame Prinzipien, aber auch Unterschiede zwischen den Rezeptorgruppen und -klassen zu identifizieren. Auch neuartige Aspekte der Signaldynamik und Protease-aktivierter Rezeptoren werden wir bei der Analyse einbeziehen. Die strukturelle Dynamik der GPCR-Aktivierung und die Modulation der Rezeptoraktivierung und Signalselektivität werden die zentralen Forschungsfragen sein“, sagt Annette Beck-Sickinger.
Mit der zweiten Förderperiode nehmen neue Teilprojekte mit methodischen Erweiterungen ihre Arbeit auf. Insbesondere die theoretischen Methoden werden in der zweiten Förderperiode gestärkt durch drei neue Teilprojektleiter:innen. „Ein solcher Sonderforschungsbereich ermöglicht die interdisziplinäre Zusammenarbeit über die eigenen Fachgrenzen hinaus. Davon profitieren insbesondere unsere Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler. Sie sind gefordert, die Gesamtzusammenhänge zu verstehen, und sie können zugleich auf zahlreiche neue Methoden und Prozesse zugreifen“, erläutert Annette Beck-Sickinger. Besonders hervorzuheben sei dabei die intensive Forschungskooperation mit der Vanderbilt University in Tennessee (USA), welche über exzellente Forschungsschnittstellen verfügt und in das Qualifikationsprogramm der integrierten Graduiertenschule des SFB1423 eingebunden ist.