Die Digitalisierung in der Medizin ist ein aktuelles Schlagwort, das möglichst bald mit konkreten Inhalten und Anwendungen versehen werden soll. Dazu sollen die an mehreren Standorten in Deutschland geplanten Professuren für Medizininformatik beitragen. In Leipzig übernimmt nun Prof. Toralf Kirsten diese Aufgabe und beginnt damit die Arbeit auf diesem spannenden und zukunftsträchtigen Gebiet. Der 49-jährige Informatiker kann dabei nahtlos an seine bisherige Tätigkeit anknüpfen, die ihn bereits seit 2018 mit dem Projekt SMITH, dem in Leipzig beheimateten Teil der bundesweiten Medizininformatik-Initiative, verbindet. Bioinformatik und die Anwendung der Datenbanksysteme in den Lebenswissenschaften sind seit fast 20 Jahren Schwerpunkt seiner wissenschaftlichen Arbeit. Diese führt ihn nach Stationen an der HTWK Leipzig, dem Zentrum für Bioinformatik der Universität Leipzig, der Hochschule für Telekommunikation in der Messestadt und zuletzt der Hochschule Mittweida nun an die Leipziger Universitätsmedizin.
"In der Medizin fallen täglich sehr viele Daten aus der Versorgungsroutine an. An einem Universitätsklinikum wie dem UKL werden eine Vielzahl Laboruntersuchungen oder bildgebende Diagnostikuntersuchungen mit MRT- oder CT-Scans durchgeführt, bei Patienten mit sehr unterschiedlichen Erkrankungen", beschreibt Prof. Kirsten sein neues Aufgabengebiet. "Diese Daten sind aktuell für Forschungsprojekte aber nicht nutzbar. Sie nun so aufzubereiten, dass daraus von Wissenschaftlern wichtige Informationen für die Diagnostik und Behandlung gewonnen werden können, ist Ziel unserer Arbeit." Bisher werden in der Medizin jeweils in Studien einzelne sehr konkrete Fragestellungen erforscht. Dazu werden die dafür benötigten Daten vorab identifiziert und durch die Untersuchung bestimmter Patientengruppen erhoben.
Künftig könnte dank der Arbeit von Prof. Kirsten und seinen Kollegen hier eine Art Datenpool mit allen verfügbaren Informationen geschaffen werden, aus dem dann jeweils alle schon vorhandenen Daten zu einer bestimmten Fragestellung schnell abgerufen werden können. "So könnten Zusammenhänge schneller und einfacher identifiziert und offene Fragen beantwortet werden", ist Prof. Kirsten überzeugt.
Bei der Nutzung der Patientendaten sind dabei die hohen Vorgaben des Datenschutzes im Gesundheitswesen zu beachten. Die Anonymität muss gewahrt bleiben, zudem dürfen die Daten den Ort, an dem sie zu Behandlungszwecken erhoben wurden, nicht verlassen. "Das sind anspruchsvolle Vorgaben, an deren Umsetzung die Datenintegrationszentren, auch hier am UKL, arbeiten", so Kirsten. Die Aufgabe seiner Abteilung ist es nun, diese so zusammengeführten Daten zu analysieren. Dazu müssen zunächst geeignete Methoden entwickelt und eine Infrastruktur geschaffen werden, die die Erfassung und Auswertung nicht nur der Leipziger, sondern letztlich aller Daten bundesweit ermöglicht. Um das zu erreichen arbeitet Prof. Kisten mit seinen Kollegen aus dem SMITH-Konsortium mit allen anderen Standorten der Medizininformatikinitiative zusammen. Ein aktuelles Projekt ist der "Personal Health Train" - ein Verfahren, dass eine etappenweise Auswertung großer Datenmengen jeweils vor Ort ermöglichen soll, indem an den verschiedenen Zentren eine Zwischenauswertung erfolgt, deren Ergebnisse dann weitertransportiert werden zum nächsten Datenspeicherort. "Auf diese Weise verlassen die Individualdaten der Patientinnen und Patienten nicht die Zentren, an denen sie erhoben und zur Behandlung benötigt werden, können aber in pseudonymisierter Form ausgewertet und verarbeitet werden", erklärt Prof. Kirsten. Ganz konkret sind das beispielsweise Fragen zur Früherkennung von Glaukom- und anderen Augenerkrankungen oder der Mustererkennung von seltenen Leukodystrophien, die so schneller festgestellt und besser behandelt werden können.
Um solche Methoden künftig noch mehr in der Medizin zu verankern, bietet die Universität Leipzig ab dem Wintersemester den Master-Studiengang Medical Data Sciencean, in den auch Prof. Kirsten eingebunden ist. Hier sollen Naturwissenschaftler, aber auch Ärzte zu Experten für die Datenerhebung und -auswertungen ausgebildet werden, um die Digitalisierung der Medizin zum Nutzen der Patienten weiter vorantreiben zu können.
"Ich freue mich sehr auf meine neue Aufgabe auf diesem hochspannenden Gebiet und hoffe auf viele Netzwerkprojekte und Anwendungsfragestellungen", so Prof. Toralf Kirsten mit Blick auf die Aufbauarbeit, die vor ihm liegt. "In Leipzig gibt es dank vieler existierender Projekte dafür eine sehr gute Basis, auf der wir jetzt intensiv aufbauen werden."
Hintergrund
Ziel der Medizininformatik-Initiative (MII) ist die Verbesserung von Forschungsmöglichkeiten und Patientenversorgung durch innovative IT-Lösungen. Diese sollen den Austausch und die Nutzung von Daten aus Krankenversorgung, klinischer und biomedizinischer Forschung über die Grenzen von Institutionen und Standorten hinweg ermöglichen. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) fördert die MII bis 2021 mit über 160 Millionen Euro. In den vier Konsortien DIFUTURE, HiGHmed, MIRACUM und SMITH arbeiten alle Einrichtungen der Universitätsmedizin in Deutschland an über 30 Standorten gemeinsam mit Forschungseinrichtungen, Unternehmen, Krankenkassen und Patientenvertretern daran, die Rahmenbedingungen zu entwickeln, damit Erkenntnisse aus der Forschung direkt den Patienten erreichen können. Datenschutz und Datensicherheit haben dabei höchste Priorität.
Im Konsortium Smart Medical Information Technology for Healthcare (SMITH) haben sich neun Universitätsklinika sowie neun weitere Partner aus Forschung und Industrie zusammengeschlossen. SMITH wird von 2018 bis 2021 mit einem Gesamtfördervolumen von ca. 45 Millionen vom BMBF gefördert.