Pressemitteilung 2002/093 vom

Deutschlands leistungsstärkstes Kernspinresonanzspektrometer steht an der Universität Leipzig und wird am 25./26. April mit dem Kolloquium "New Developments in High Field NMR" eingeweiht. Das äußerst homogene Magnetfeld ermöglicht Messungen von extrem hoher Genauigkeit.

Er ähnelt einem Zementsilo, im Vergleich jedoch ist er ziemlich kurz und dünn geraten, und der Anstrich - grau statt orange - stimmt auch nicht... Doch so klein der stämmige Rundling mit seinen 2,90 Meter ist, so viel Gewicht und Energie stecken in dem unscheinbaren Ding. Um es aufzustellen, wurden Mauern aufgestemmt und eine Werkstatt umgebaut. Um es in Gang zu halten, darf es durch nichts und niemanden gestört werden. Und um es über jeden erdenklichen Notfall zu retten, hängen fünf "Sanitäter" an seinem Personal-Handy. Bevor man ihm zu nahe tritt, möge man sich Galoschen über die Schuhe ziehen - Staub und Schmutz können es "verstimmen". Zudem möge man sich vergewissern, nicht mit künstlichen Gelenken und nicht mit einem Herzschrittmacher ausgestattet zu sein; man möge sich seiner Uhr, Gürtelschnalle, Ringe und sämtlicher sonstigen metallischen Accessoires entledigen - sonst erliegt man unweigerlich seinem "einnehmenden Wesen". Immerhin steht da ein Magnet mit einer Anziehungskraft, die bis zu 400.000 Mal stärker ist als die im Magnetfeld der Erde.

Der außergewöhnlich starke Magnet bildet das Herz des Kernspinresonanz-spektrometers, das die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) Wissenschaftlern anvertraut hat, die auch im Sonderforschungsbereich 294 (SFB) zusammen wirken. Der SFB "Moleküle in Wechselwirkung mit Grenzflächen" besteht seit 1992 als erster SFB an der Universität Leipzig; derzeit agiert Prof. Dieter Michel von der Fakultät für Physik und Geowissenschaften/Institut für Experimentelle Physik II als Sprecher. "Vor einem Jahr haben wir das Spektrometer aufgebaut, jetzt ist es betriebsbereit", so der Experte für magnetische Resonanzspektroskopie.

Zur Einweihung bekommt das behütete Stück, von dem es weltweit nur noch drei weitere vergleichbarer Größe gibt und das bislang in Deutschland einzigartig ist, am 25./26. April ein eigenes Kolloquium. Zu dem hat sich auch Prof. Richard R. Ernst angesagt: Der Emeritus der Züricher Eidgenössischen Technischen Hochschule, der bereits zum Dies academicus im Dezember 1999 an der hiesigen Universität referierte, stellt in seinem Vortrag die NMR-Fourier-Spektroskopie vor - jene maßgeblich von ihm vorangetriebene Technik, die Ordnung in die Fülle und Vielfalt der Daten bringt, die ein Kernspinresonanzspektrometer via Computer ausspuckt.

Als Prof. Ernst 1991 für seine "bahnbrechenden Beiträge zur Entwicklung der Methode der Kernspinresonanz-Spektroskopie" den Nobelpreis für Chemie erhielt, hatte sich die NMR bereits als eine der leistungsfähigsten Technologien in den Bereichen Biologie, Chemie, Medizin und Physik durchgesetzt. Mit seinen Forschungen hatte Richard Ernst Mitte der 60er Jahre an die von Felix Bloch und Edward M. Purcell entwickelten neuen Methoden für kernmagnetische Präzisionsmessungen und die damit verbundenen Entdeckungen - zum Studium des magnetischen Moments der Atomkerne in Feststoffen, Flüssigkeiten oder Gasen angeknüpft. Bloch und Purcell war der Nachweis gelungen, dass bestimmte Atomkerne, sofern sie in ein Magnetfeld platziert werden, elektromagnetische Wellen - in Frequenzen von Radiowellen - absorbieren. Diesen Arbeiten waren erfolgreiche Untersuchungen an magnetischen Momenten von Elektronen in kondensierter Materie durch Zawoiski in Kazan im Jahre 1944 vorausgegangen. Ernst ließ sich davon 1966 zur Entwicklung der Fourier-Transform-NMR-Spektroskopie anregen. Durch impulsförmige Einstrahlung kurzer Radiowellen lassen sich alle in der untersuchten Substanz enthaltenen Kernmomente gleichzeitig anregen und deren "Antwort" mittels moderner Rechentechnik schnell erfassen und auswerten. Damit gewinnt die Nachweisempfindlichkeit enorm. Dies erlaubt es auch, die Strukturen von komplizierten Molekülen aufzuklären, wie solchen in komplexen biologischen Systemen. Weitere Forschungen führten zu immer leistungsfähigeren Analyse-Methoden: Als nächstes ermöglichte es die zweidimensionale NMR-Spektroskopie, die zwischen den verschiedenen Atomen eines Moleküls ablaufenden Interaktionen zu charakterisieren. Und seit den 70er Jahren leistete Ernst wichtige Beiträge zur NMR-Tomographie, zur Bildgebung "moderner" Art mittels der so genannten Fourier-Transformation. Mit ihr ist es möglich, Daten und Informationen über Strukturen und dynamische Vorgänge zu entzerren und zu entwirren - ergo, je nach konkretem Forschungsinteresse der einzelnen Disziplinen und der Wissenschaftler die Informationen so darzustellen, dass sie verständlich sind.

So hat sich die NMR-Spektroskopie heute weite Gebiete der Medizin und Biologie erobert. Die hohe Wertschätzung, die die NMR-Methode genießt, liegt zum einen darin begründet, dass die Untersuchungen nichtinvasiv und zerstörungsfrei ablaufen; im Gegensatz zur Röntgendiagnostik ist keine Belastung der Probanden zu befürchten. Zum anderen ist sie in ihrer Anwendung extrem weit gefächert: Mit ihr lässt sich die Struktur komplexer Proteine und der DNA bestimmen, es lassen sich unbekannte chemische Elemente innerhalb eines Moleküls finden, es können einfache organische Flüssigkeiten analysiert werden und es lassen sich lebende Organismen untersuchen, so lässt sich das weiche Gewebe im menschlichen Körper sichtbar machen.

Das Besondere des Leipziger Kernspinresonanzspektrometers liegt in seinem supraleitenden, aus Niob bestehenden Magneten: Mit seiner Größe schafft er ein äußerst homogenes Magnetfeld, charakterisiert durch die Protonenfrequenz von 750 Megahertz und die Stärke von 17,6 Tesla. Dieses extrem gleichmäßige und stabile Magnetfeld bietet die Basis, bei den Messungen eine extrem hohe Genauigkeit zu erreichen. Für die Messungen wird ein Probenkopf, der das zu prüfende Material enthält, von oben in das Spektrometer und damit in das in seinem Inneren liegende Magnetfeld geschoben. Das Magnetfeld löst den Effekt der kernmagnetischen Resonanz aus. Das heißt: Atomkerne, die über den Spin - einen Drehimpuls - verfügen, reagieren wie kleine Kompassnadeln auf das Magnetfeld. Sie kreiseln, und je stärker das Magnetfeld ist, umso schneller. Während sich die Kernspins horizontal drehen, geben sie Signale ab; richten sich die Kernspins wieder auf, verstummen die Signale allmählich. Da jeder reine Stoff ein eigenes unverwechselbares, typisches NMR-Signal aussendet, "berichten" die Atomkerne auf diesem Wege über ihren Zustand und ihre Struktur, über ihr Verhältnis zu den Atomkernen anderer Stoffe oder über ihre Art sich zu bewegen.

Eines der Anwendungsgebiete für das neue Gerät sind Zeolithe, die seit Jahren ein wichtiges Forschungsgebiet der Leipziger Physik darstellen. Zeolithe verfügen über eine definierte innere Gerüststruktur, die sich (wie ein abgestorbenes Korallenriff oder ein Bimsstein) aus Hohlräumen und Kanälen zusammensetzt. Aufgrund dieser Struktur lassen sie sich als Molekülsiebe und Katalysatoren benutzen. Die Physiker und Chemiker wollen wissen, wie das funktioniert und wie Zeolithe funktionieren, wenn ihre Struktur verändert wird. Das zweite Ziel leitet sich aus der "Gastgeberrolle" ab, die Zeolithe zu spielen vermögen: In den Hohlräumen finden Gase Unterschlupf, es zieht sie förmlich hinein, sie leben darin. Daraus ergibt sich die Frage: Was passiert mit den Gasen, ehe sie einziehen? Und wie bewegen sie sich in den Zeolithen? Die dritte Zielrichtung, die im besonderen die Arbeit von Dr. André Pampel, dem wissenschaftlichen Betreuer des Spektrometers, betreffen, gilt der Untersuchung jener Lipid-Wasser-Systeme, die Zellmembrane bilden - eine Nutzung, die wiederum in den Bereich der Biologie verweist.

An diesem Punkt wird deutlich, das Kernspinresonanzspektrometer steht zwar an der Fakultät für Physik und Geowissenschaften. Nutznießer der spektakulären Anschaffung sind zugleich die Wissenschaftler aus der Chemie und Mineralogie, aus den Biowissenschaften und der Pharmazie, aus Human- und Veterinärmedizin sowie vom Max-Planck-Institut für Neuropsychologische Forschung Leipzig.