Pressemitteilung 2002/263 vom

Forschungskolloquium des Sonderforschungsbereiches 586 "Differenz und Integration"

Nach den Kolloquien "Akkulturation und Selbstbehauptung" und "Militär und Staatlichkeit" werden am 25. Oktober 2002 die Teilnehmer des Kolloquiums "Segmentäre und zentralisierte Gesellschaften" des Sonderforschungsbereiches 586 "Differenz und Integration" zum dritten Mal auswärtige Hilfe zur Klärung eines zentralen Problems in Anspruch nehmen. Diesmal geht es um Organisationsdifferenzen, die in den beteiligten Disziplinen seit langem erkannt sind, auch wenn sie in unterschiedlichem Theoretisierungsgrade diskutiert wurden. Soziologie und Ethnologie spielen hier naturgemäß eine Vorreiterrolle, da der Vergleich sozialer Systeme ihr genuines Forschungsanliegen darstellt.

Es war insbesondere die westeuropäische Ethnologie, die das Konzept Emile Durkheims von der sozialen Segmentation als einem Grundprinzip aufgriff und zu einem polaren Gegensatz zwischen staatlichen und nichtstaatlichen Gesellschaften ausbaute. Dieser ethnosoziologische Dualismus ist in jüngeren Forschungen relativiert worden; doch hat dadurch die Relevanz der Konzeption von sich situational vereinenden bzw. spaltenden Gesellschaftsteilen nicht gelitten.

Die Veranstalter des Kolloquiums "Segmentäre und zentralisierte Gesellschaften" freuen sich, zur Klärung dieses Fragenkomplexes Autoritäten aus verschiedenen Ländern und aus verschiedenen Disziplinen gewonnen zu haben. Die Vortragsreihe wird von Christian Sigrist/Münster eröffnet, der mit seinem opus magnum "Regulierte Anarchie" 1967 das segmentäre Prinzip im deutschsprachigen Raum bekannt gemacht hat. Nach dessen kritischer Bestandsaufnahme der einschlägigen Forschung seit Durkheim beleuchtet Michael Meeker/San Diego den psychologischen Kontext der segmentären Idee. Danach prüft Hélène Claudot-Hawad/Aix-en-Provence das Konzept am Beispiel der Tuareg, einer stratifizierten, aber sich gleichwohl segmentär verhaltenden Nomadengesellschaft. Andere Differenzierungen nimmt David Edwards/Leicester vor, wenn er das Konzept der Heterarchie in frühen Staatsformen entwickelt. Die letzten beiden Vorträge werden aktuelle Szenarien vorstellen: Detlef Müller-Mahn/Bayreuth die Aulâd 'Alî Nordwestägyptens, die in der Auseinandersetzung mit dem modernen Staat ihre Flexibilität verlieren, und Sharon Hutchinson die Nuer im nunmehr bald 5 Jahrzehnte währenden sudanesischen Bürgerkrieg.

Das gemeinsame Ergebnis der hier versammelten Beiträge wird in Richtung gemischter Verhältnisse weisen. Die abschließende Diskussion wird daher von einer Expertin für Kulturmischungen, nämlich Judith Okely/Hull, geleitet werden. Sie hat am Beispiel englischer Gypsy-Familien die Verwobenheit zwischen zentralistischer Ordnungsmacht und segmentären Reaktionsweisen herausgearbeitet (The Traveller-Gypsies. Cambridge 1983). Dieses Zusammenspiel zweier sich scheinbar ausschließender Prinzipien für das Verständnis des generellen Zusammenlebens von nomadischen und seßhaften Gesellschaftsteilen fruchtbar zu machen, ist die Aufgabe des Kolloquiums.

Kolloquium:
Segmentäre und zentralisierte Gesellschaften
Zeit: 25. Oktober 2002
Ort: Villa Tillmanns der Universität Leipzig, Wächterstraße 30

Programm:

9:00 bis 9:15 Uhr
Begrüßung / Introduction

9:15 bis 10:00 Uhr
Christian Sigrist, Münster:
Segmentary Societies: The Evolution and Actual Relevance of an Interdisciplinary Conception

10:00 bis 10:30 Uhr
Kaffee-Pause / Break

10:30 bis 11:15 Uhr
Michael E. Meeker, San Diego:
The Idea of a Center among People Who Desire but Resist a Center

11:15 bis 12:00 Uhr
Hélène Claudot-Hawad, Aix-en-Provence:
Neither Segmentary, nor Centralized: the Sociopolitical Organisation of a Nomadic Society (Tuaregs) beyond Categories

12:00 bis 14:00 Uhr
Mittagspause / Lunch

14:00 bis 14:45 Uhr
David N. Edwards, Leicester:
"Heterarchy" in the Early State in Nord East Africa

14:45 bis 15:30 Uhr
Detlef Müller-Mahn, Bayreuth:
Zur Inkorporation von Nomaden in den Staat. Das Beispiel der Aulâd 'Alî in Ägypten

15:30 bis 16:00 Uhr
Kaffee-Pause / Break

16:00 bis 16:45 Uhr
Sharon Hutchinson, Wisconsin:
Contemporary Nuer Segmentation: The Transformative Impact of Sudan's Second Civil War (1983 - present)

16:45 bis 17:30 Uhr
Schlußdiskussion / Final discussion
(mit / with Judith Okely, Hull)