Herr Prof. Saalbach, was sollte aus Ihrer Sicht getan werden, um Lehrer:innen und Schüler:innen – auch mit Blick auf die Erfahrungen der beiden vergangenen Jahre – bestmöglich auf den Schuljahresbeginn und die damit verbundenen Herausforderungen der Corona-Pandemie vorzubereiten?
Zunächst ist es sicher sinnvoll, dafür zu sensibilisieren, dass die Pandemie leider noch nicht vorüber ist, auch wenn wir es uns alle anders wünschen: Es ist damit zu rechnen, dass sich die Situation im Laufe des Herbst und Winters wieder verschärft. Für die Schulen und Schulverwaltung heißt das, die Konzepte zum Umgang mit der pandemischen Situation nochmals vor dem Hintergrund der Erfahrung der letzte Jahre kritisch zu überprüfen und gegebenenfalls sowohl technisch als auch konzeptuell zu aktualisieren. Mittlerweile gibt es eine Vielzahl von Befunden zu Auswirkungen der Pandemie und der damit verbunden Folgen für den Schulbetrieb auf das Lernen und auf die psychischen Situation der Kinder und Jugendlichen. Daraus müssen die angemessenen Konsequenzen gezogen werden. Die wichtigste Konsequenz für die Bildungspolitik heißt: Schulschließungen soweit es irgend geht zu verhindern. Denn hierfür wissen wir inzwischen, dass es sehr negative Folgen für die Lernleistung und für die psychische Gesundheit haben kann.
Wie könnten begleitende Konzepte zum Schulstart aus schulpsychologischer Sicht aussehen?
Selbst wenn Schulschließungen sich vermeiden lassen, werden wahrscheinlich viele Kinder und Jugendliche aufgrund von Quarantäne-Regelungen zeitweise zu Hause bleiben müssen. Mein Eindruck vom letzten Frühjahr war, dass Schulen auf eine solche Situation nur unzureichend vorbereitet sind. Die in Quarantäne befindlichen Schülerinnen und Schüler mussten sich selbst über den verpassten Lernstoff erkundigen, um diesen dann nachzuarbeiten. Die digitalen Lernplattformen, die während der Schulschließung in der Regel intensiv genutzt wurden, bieten doch auch gute Möglichkeiten, die in Quarantäne befindlichen Schüler:innen einzubinden und am Unterricht teilhaben zu lassen. Auch hybride Unterrichtsformen sind gut vorstellbar. Überhaupt sehe ich eine Gefahr darin, dass die Möglichkeiten, die die digitalen Plattformen und Tools bieten, nicht oder kaum während des regulären Schulbetriebs genutzt werden. So könnten doch etwa Angaben zu Hausaufgaben, Lernziele oder zusätzliche Übungsaufgaben auf der Lernplattform zu finden sein, was nicht nur den krankheitsbedingt fehlenden Schüler:innen hilft, sondern auch Möglichkeiten zur Differenzierung bietet und das selbstregulierte Lernen unterstützt.
Wie können Lehrer:innen entlastet werden?
Natürlich sind die genannten Maßnahmen mit Mehraufwand verbunden. Mittlerweile gibt es aber viel Expertise und Erfahrung im Umgang mit der pandemischen Situation im Allgemeinen und im Einsatz von digitalen Tools im Speziellen - dies stellt an sich bereits eine Entlastung im Vergleich zur Situation zu Beginn der Pandemie dar. Die Expertise variiert aber stark zwischen Lehrer:innen und Schulen. Das zeigen auch unsere Daten. Eine wichtige Entlastung besteht daher zunächst darin, dass sich Lehrer:innen und Schulen austauschen und voneinander lernen. Aber selbstverständlich muss auch strukturell unterstützt werden. Stichworte, die mir hier in den Sinn kommen, sind etwa: Abminderungsstunden für IT-Koordinator:innen an den Schulen, verlässliche Dienstgeräte, gutes Schul-WLAN. Aber eine zentrale Entlastung im Hinblick auf die psychosoziale Situation besteht im flächendeckenden Einsatz von Schulsozialarbeiter:innen und Schulpsycholog:innen. Gerade im Hinblick auf letzte hat Sachsen einen großen Nachholbedarf. Das wird man sicher nicht zum nächsten Schuljahr machen können, aber es sollten entsprechend Weichen gestellt werden.
Worin sehen Sie die größte Gefahr der Pandemie für Kinder und Jugendliche?
Die größte Gefahr sehe ich darin, dass die Fehler der vergangenen Pandemiephasen wiederholt werden. Die dann mit den entsprechenden negativen Folgen im Hinblick auf psychische Gesundheit und Lernleistung sowie Lernmotivation einhergehen. Im dritten Schuljahr infolge könnten diese Folgen sogar noch stärker ausfallen, da die Schüler:innen die Ausnahmesituation als Dauerzustand wahrnehmen würden. Tatsächlich können sich vor allem jüngere Schüler:innen gar nicht mehr an einen normalen Schulbetrieb erinnern. Während des irregulären Schulbetriebs in den letzten Jahren kam den Eltern zudem eine entscheidende Rolle in der Lenrunterstützung zu. Das hat die ohnehin bestehende Leistungsheterogenität weiter vergrößert. Daher könnte auch in der Verschärfung dieser Situation und des potentiellen „Abgehängtseins“ vieler Schüler:innen eine Gefahr für das kommende Schuljahr liegen.