Pressemitteilung 2002/096 vom

Kombination Rasterelektronenmikroskop und Kryoanlage / System einmalig in Deutschland / Durch Kryoverfahren Untersuchung am lebensnahen Geweben möglich / Zusammenarbeit zwischen Veterinär- und Humanmedizinern / Einsatz auch in der Lehre

Am Veterinär-Anatomischen Institut der Universität Leipzig wurde vor etwa zwei Jahren ein neues digital gesteuertes Rasterelektronenmikroskop (REM) LEO 1430 VP mit Kryoanlage in Betrieb genommen. Herr Professor Dr. Johannes Seeger, Bereich Histologie und Embryologie, und Herr Dr. Johannes Kacza, Leiter des elektronenmikroskopischen Labors, versprechen sich durch dieses Gerät bessere Einsichten in die Feinstruktur des Zentralnervensystems und dadurch auch weitere Erkenntnisse über die Mechanismen verschiedener neuronaler Erkrankungen. Die vom Freistaat Sachsen und der Deutschen Forschungsgemeinschaft mit 328.000 Euro geförderte Anlage, die in Leipzig in dieser Systemzusammenstellung erstmalig installiert wurde, ermöglicht hochauflösende Oberflächendarstellungen von herkömmlich getrockneten, wie auch von feuchten und tiefgefrorenen Proben.

Die digitale Gerätesteuerung und Speicherung von Betriebsparametern und Bildern, welche über die übersichtliche Bedienungsoberfläche eines adaptierten PC erfolgt, bringt einen hohen Bedienungskomfort mit sich und erlaubt zudem die effiziente Nutzung des REM unter verschiedensten Fragestellungen. Eine der technischen Besonderheiten dieses Geräts liegt in der Option, durch Einstellung eines variablen Vakuums in der Probenkammer auch feuchte Proben wie z. B. lebende Parasiten und Zellkulturen untersuchen zu können. Diese noch junge technische Entwicklung eröffnet so prinzipiell die Möglichkeit, dieselbe Probe im Anschluss an die REM-Analyse für weitere Studien am lebenden Objekt nutzen zu können. Dieses Verfahren war wegen des in der Elektronenmikroskopie üblicherweise erforderlichen Hochvakuums bis vor wenigen Jahren unmöglich.

Das zweite Kernstück der technischen Ausstattung des in Leipzig installierten Systems ist eine mit dem REM gekoppelte Kryoanlage. Der entscheidende Vorteil der Kryotechnik liegt darin, dass sich durch geeignete Verfahren, mit Abkühlraten bis zu 100.000 Grad Celsius pro Sekunde, biologische Präparate erzeugen lassen, deren Membranen und andere Strukturen der Zelle nahezu unverändert fixiert werden. In diesen Geweben, deren Oberflächen aufgrund der hohen Abkühlgeschwindigkeit kein kristallines Eis, das unter normalen Bedingungen die Zellen zerstören würde, entsteht, sind zelluläre und subzelluläre Strukturen so gut erhalten, dass ihr ultrastrukturelles Erscheinungsbild praktisch den Zustand in lebenden Zellen wiedergibt. Zur Herstellung von Kryoproben nutzen wir ein Tauchgefriergerät (Slush-Technik), in dem biologische Präparate in auf -160 Grad Celsius abgekühltes Propan geschossen werden. Anschließend können tiefgefrorene Proben in der Kryoanlage unter Vakuumbedingungen auf unterschiedlichste Weise weiter bearbeitet werden. Von zentraler Bedeutung ist das Gefrierätzen (physikalisch gesehen handelt es sich dabei um eine Sublimation, das ist der unmittelbare Übergang z. B. von Wasser vom festen in den gasförmigen Zustand). Mit dessen Hilfe lassen sich die durch Gefrierbruch oder Gefrierschneiden (beides erfolgt ggf. ebenfalls in der Kryoanlage) erzeugten Oberflächen der Gewebeproben deutlicher darstellen lassen. Ein abschließender Arbeitsschritt, der - bei Raumtemperatur auch für trockene Proben - ebenfalls in der Kryoanlage stattfindet, ist die Beschichtung der Proben mit Gold mittels Argonplasma, was der Verbesserung der Oberflächendarstellung im REM dient. Adäquat vorbereitete Proben werden schließlich über eine Transporteinrichtung (Cryo-Shuttle), die der Aufrechterhaltung der Präparatekühlung unter Vakuum dient, in die Probenkammer des REM eingeschleust und auf einen motorisierten Fünf-Achsen-Tisch montiert.

Eingesetzt wurde das REM bisher bei der Auswertung von Effekten eines neuen, unter Leitung von Herrn Prof. Peter Wiedemann, Direktor der Universitäts-Augenklinik Leipzig, entwickelten experimentellen Verfahrens zur Ablösung der Netzhaut (Retina) in Kaninchenaugen. Ziel der REM-Untersuchung war die Dokumentation des auf der Photorezeptorenschicht verbliebenen retinalen Pigmentepithels unter unterschiedlichen Ablösungsbedingungen. In einer weiteren Kooperation mit dem Neurophysiologen Prof. Andreas Reichenbach vom Paul-Flechsig-Institut für Hirnforschung in Leipzig wurden funktionelle Aspekte des retinalen Pigmentepithels nach Netzhautablösung untersucht.

Erste Erfahrungen mit der Kryotechnik gewannen die Leipziger Wissenschaftler bei Auswertungen von Delfinhautproben in Zusammenarbeit mit dem Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung in Bremerhaven und der Tierärztlichen Hochschule Hannover. Hier konnten auf Ultrastrukturebene dermatologische Schutzmechanismen der Delfinhaut dokumentiert werden. Darüber hinaus wird das REM auch von anderen Instituten und Kliniken der Veterinärmedizinischen Fakultät genutzt, u. a. für die morphologische Charakterisierung von mumifizierten Flöhen aus Südamerika und die Untersuchung von bakteriell infizierten Eileitern des Schweins.

In der studentischen Ausbildung der Veterinärmedizinischen Fakultät wird das REM für Wahlpflichtveranstaltungen zur vergleichenden licht- und rasterelektronenmikroskopischen Analyse genutzt. Die Studenten erhalten detaillierte Einblicke in die Feinstruktur von Geweben und Organen.

Das neue REM wird auch in anderen, drittmittelgeförderten Projekten eingesetzt, bei denen es u. a. um Regenerationsmechanismen des Zentralnervensystems geht. Gegenstand dieser tierexperimentellen Untersuchungen ist die Netzhaut der Ratte. Die Retina eignet sich besonders gut als Modell für das Zentralnervensystem, da in ihr als Teil des Gehirns ähnliche Degenerations- und Regenerationsprozesse ablaufen wie z. B. im Gehirn und im Rückenmark. Außerdem ist sie im Vergleich zu anderen Geweben einfach strukturiert, da sie nur aus drei Nervenzellschichten besteht, und von außen gut zugänglich ist. Mit Hilfe des REM soll die Morphologie von neu auswachsenden Nervenfortsätzen in der Retina nach experimenteller Schädigung des Sehnerven untersucht werden.