Pressemitteilung 2000/139 vom

Hören Sie Farben? Oder sehen Sie Töne? Diese Fähigkeit, verschiedene Sinneseindrücke miteinander zu verbinden, hatten auch Johann Wolfgang Goethe, der russische Maler W. Kandinsky und viele andere berühmte und weniger berühmte Persönlichkeiten.

Wissenschaftler vom Institut für Allgemeine Psychologie der Universität Leipzig versuchen, diesen besonderen Wahrnehmungen auf die Spur zu kommen. Für ihr Forschungsprojekt, das unter der Leitung von Prof. Dr. Hermann Müller und Dr. Christian Kaernbach steht, suchen sie Menschen, die ähnliche Phänomene bei sich bemerkt haben und sich mit anderen sog. Synästhetikern und den Wissenschaftlern austauschen möchten. Um diesen Kontakt zu ermöglichen, haben die Wissenschaftler ein sog. "Erzählcafé" eingerichtet. Es ist unter der Telefonnummer 0341 97-35983 tagsüber zu erreichen.

Die Fähigkeit, Farben zu hören oder Töne zu sehen, wird mit dem griechischen Begriff "Synästhesie" (Sinnesvermischung) bezeichnet. Hierbei werden "mehrere Sinne auf unorthodoxe, faszinierend andere Weise miteinander verbunden", erklärt Sabine Schneider, die darüber ihre Doktorarbeit schreibt. Die häufigste Form der Synästhesie ist das sogenannte "farbige Hören". Für Menschen, die mit dieser Fähigkeit begabt sind, leuchten die Töne. Das heißt, zu alltäglichen Höreindrücken wie Geräuschen, Wörtern, Zahlen oder auch Tönen erscheinen ihnen "vor dem inneren Auge" unwillkürlich Farben. Auch Fälle von anderen Sinnesmischungen gibt es, beispielsweise die Verbindung von Farbe und Geschmack. Sie sind allerdings seltener. So berichtet der amerikanische Neurologe R. Cytowic von einem Gast, der sich beklagte: "Das Hühnchen schmeckte kugelförmig".

Es wird vermutet, dass Synästhesie oft mit einer Erweiterung der Wahrnehmungsfähigkeit einhergeht, die Kreativität fördert und außergewöhnliche Gedächtnisleistungen ermöglicht. So nutzen Synästhetiker ihre Fähigkeit z. B. als Eselsbrücke, indem sie sich Telefonnummern oder Vokabeln farbig merken. Durch die Klärung dieses Phänomens erhoffen sich die Leipziger Wissenschaftler neue Einsichten darüber, wie unser Bewußtsein funktioniert.