Pressemitteilung 2024/121 vom

Zum heute (30. Juli 2024) verkündeten Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Bundeswahlgesetz (BWahlG) 2023 erklärt Verfassungsrechtler Jun.-Prof. Dr. Fabian Michl von der Universität Leipzig:

„Das Gericht hat mit seinem Urteil den Kern der Wahlrechtsreform von 2023 bestätigt. Das sogenannte Prinzip der Zweitstimmendeckung stellt sicher, dass künftig nicht mehr als 630 Abgeordnete im Bundestag sitzen. Überhang- und Ausgleichsmandate sind abgeschafft. Die Sitzverteilung richtet sich ausschließlich nach dem Kriterium, nach dem die Wählerinnen und Wähler schon bislang ihre Wahlentscheidung getroffen haben: Nach der parteipolitischen Präferenz. Die Wahl von Kandidaten im Wahlkreis tritt demgegenüber in den Hintergrund. Die Kritik, die gegen diesen Systemwechsel vorgebracht worden war, hatte vor dem Bundesverfassungsgericht keinen Bestand: Das reformierte Wahlgesetz ist weder undemokratisch noch verstößt es gegen das Bundesstaatsprinzip, an das der Gesetzgeber bei der Ausgestaltung des Bundeswahlrechts nicht gebunden ist. Die Parteien werden sich auf die neue Rechtslage einstellen müssen, vor allem die CSU, die bislang aufgrund ihrer Sonderrolle als erststimmenstarke Regionalpartei die meisten Überhangmandate produziert hat.

Andererseits hat das Gericht die CSU vor der Gefahr bewahrt, im Fall eines schlechten Zweitstimmenergebnisses nicht mehr in den Bundestag einzuziehen. Denn die Fünf-Prozent-Hürde darf nach dem Urteil nicht zulasten von Parteien angewendet werden, die beabsichtigen mit einer anderen Partei, mit der sie nicht konkurrieren, eine Fraktion zu bilden – aber nur, wenn sie in der Vergangenheit bereits eine Fraktion gebildet haben. Diese Voraussetzungen treffen nur auf die CSU zu, die seit 1949 eine Fraktion mit der CDU bildet. Das Gericht hätte also auch sagen können: Die Fünf-Prozent-Hürde darf nicht zulasten der CSU angewendet werden. Nur deshalb hat es die vorübergehende Fortgeltung der früheren Grundmandatsklausel angeordnet, von der aber nicht nur die CSU, sondern auch die Linke profitieren könnte – es sei denn, dem Gesetzgeber gelingt in der kurzen Zeit vor der Bundestagswahl 2025 noch eine Neuregelung, die den Anforderungen des Urteils entspricht.“

 

Fabian Michl ist Juniorprofessor für Öffentliches Recht und das Recht der Politik an der Juristenfakultät und einer von rund 250 Expert:innen der Universität Leipzig, auf deren Fachwissen Sie mithilfe unseres Expert:innen-Netzwerks zurückgreifen können.