Pressemitteilung 2000/003 vom

Vier Millionen Deutsche leiden an Rheuma. Fast 52 Mio. Arbeitstage fallen rheumabedingt aus. Der volkswirtschaftliche Schaden wird auf mehr als 15 Milliarden DM pro Jahr geschätzt. Für den Betroffenen bedeutet Rheuma z. T. unerträgliche Schmerzen und eine fortschreitende Einschränkung der Bewegungsfähigkeit. Die Medizin kann trotz aller Fortschritte bisher nur die Symptome der Krankheit mildern.

Die Arbeitsgruppe um den Biophysiker Prof. Dr. Klaus Arnold von der Medizinischen Fakultät der Universität Leipzig ist hier nun einen bedeutenden Schritt vorangekommen. Sie fand heraus, dass Hypochlorsäure für den Abbau der Knorpelschicht in den Gelenken, der zum charakteristischen Erscheinungsbild rheumatischer Erkrankungen gehört, ganz wesentlich verantwortlich ist. Hypochlorsäure entsteht bekanntlich dann, wenn Wasser und Chlor zusammenkommen. Sie tötet Bakterien und andere Mikroorganismen ab, indem sie deren äußere Hülle zerstört. Diesen Umstand macht man sich z. B. in Schwimmbädern zunutze, wenn man Wasser chlort.

Wie kommt aber Hypochlorsäure in die Gelenke? Bei der biophysikalischen Untersuchungvon Gelenkflüssigkeit rheumatischer Patienten fand die Arbeitsgruppe um Prof. Arnold unverhältnismäßig viele neutrophile Granulozyten, denen man als Rheumaursache bisher kaum Beachtung schenkte, weil sie nur schwierig zu erfassen sind.

Neutrophile Granulozyten sind ein normaler Bestandteil des Blutes und fungieren hier als eine Art Gesundheitspolizei, die z. B. "fremde" Bakterien erkennt, sich an sie "anheftet" und abbaut Das ist möglich durch die Beschaffenheit der Neutrophilen, zu deren wesentlichen Bestandteilen bakterienabtötende Enzyme gehören. Eines dieser Enzyme ist die sogenannte Myeloperoxidase (MPO), die als Katalysator die Produktion von Hypochlorsäure aus Wasserstoffperoxid und Chlorid-Ionen bewirkt.

Aus bisher noch ungeklärter Ursache durchdringen die neutrophilen Granulozyten die Blutgefäßwände und gelangen so von der Blutbahn in die Gelenkflüssigkeit. Hier entfalten sie ihre Aktivitäten gegen den eigenen Körper, indem die durch die Myeloperoxidase gebildete Hypochlorsäure den Gelenkknorpel zerstört. Die entsprechenden Abbauprodukte des Knorpels sind in gemeinsamen Forschungen der Leipziger Biophysiker und Rheumatologen des Rheumazentrums unter Prof. Dr. Holm Häntzschel in der Gelenkflüssigkeit von Patienten nachgewiesen worden. Der zerstörte Knorpel kann dann seine wichtige Rolle als "Stoßdämpfer" immer weniger erfüllen, ein Prozeß, der mit Schmerzen einhergeht und dazu führt, dass der Patient sich immer weniger bewegen kann.
Medikamente, die Rheuma heilen können, gibt es bislang nicht. In der Regel verordnet der Arzt Tabletten oder Salben, die den Schmerz lindern und Entzündungen bekämpfen. Gegen die Krankheitsursache richten sie nichts aus. Möglicherweise könnte die Entdeckung der Rolle, die die neutrophilen Granulozyten bei der Krankheitsentstehung spielen, hier Abhilfe schaffen. Wenn es gelingt, die Aktivitäten der Neutrophilen in der Gelenkflüssigkeit zu reduzieren oder gar zu unterbinden, kann der Knorpelabbau möglicherweise verhindert werden. Erste Medikamente sind im Einsatz und vielversprechend. Prof. Arnold ist zuversichtlich, dass die dass mit seinen Arbeiten ein Beitrag zur Aufklärung der Prozesse bei Rheumatoid Arthritis geliefert werden kann:"Wie groß der Bedarf nach Forschungen auf diesem Gebiet ist und wie nützlich gerade unsere Untersuchungsergebnisse sind "zeigt sich auch darin, dass unsere Arbeiten seit vielen Jahren durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (Innovationskolleg "Chemisches Signal und biologische Antwort"und Sonderforschungsbereich "Moleküle in Wechselwirkung mit Grenzflächen") unterstützt werden. Erst Ende letzten Jahres bekamen wir wieder den Zuschlag zur Fortführung unserer Projekte."