Warum erkranken manche Kinder und Erwachsene an Diabetes und andere nicht?
Dr. Kathrin Landgraf: Warum manche Menschen eher zu Diabetes neigen als andere, ist in der Wissenschaft noch nicht genügend verstanden. Diabetes ist ein sehr komplexes Gefüge, viele Faktoren spielen da zusammen. Zum einen wissen wir, dass die Umwelt eine große Rolle bei der Entstehung von Diabetes spielt. Zum anderen ist eine genetische Veranlagung vorhanden. Eine Hauptfragestellung, die wir im Labor beantworten wollen, ist, herauszufinden, was die Faktoren sind, die eine Entstehung von Diabetes begünstigen. Wir fokussieren uns in unserer Forschung speziell auf Kinder, da frühe Anzeichen einer Insulinresistenz oder Störung im Glukosestoffwechsel schon bei Kindern zu sehen sind. Darauf zielt ein Teil unserer Forschungsprojekte im SFB 1052 direkt ab.
Dr. Robert Stein: Mittlerweile sind wir überzeugt, dass es verschiedene Sub-Typen von Diabetes-Erkrankungen gibt, also weitaus mehr als die bekannten Formen von Diabetes Typ 1 und Typ 2. Gerade beim Typ 2, an dem mehr als 90 Prozent der erwachsenen Diabetes-Erkrankten betroffen sind, aber mittlerweile auch immer mehr Jugendliche, liegt ein komplexes Gefüge aus Umweltfaktoren und genetischer Veranlagung zugrunde. Beispielsweise gibt es Unterformen, bei denen eher Übergewicht und Fettverteilung entscheidend ist und dann gibt es Unterformen, bei denen eher das Alter eine Rolle spielt. Je nach Ursachentyp verläuft dann auch das Krankheitsbild unterschiedlich. Hier müssen wir ansetzen, weil es durchaus Unterschiede in der Prävention und Therapie haben kann.
Diabetes und Adipositas: Wie bedingen sich diese beiden Krankheiten? Ist die eine ohne die andere überhaupt denkbar?
Dr. Kathrin Landgraf: Adipositas ist natürlich ein sehr großer, wenn nicht sogar der Hauptrisikofaktor für die Entstehung von Diabetes, zumindest für den Typ 2. Der Fokus unserer Forschung liegt darauf, die Mechanismen zu verstehen, die zu Adipositas wie auch assoziierten Erkrankungen wie Diabetes im Kindesalter beitragen. Dabei sind wird insbesondere an Prozessen im Fettgewebe interessiert, das heißt an Faktoren, die im Fettgewebe selbst eine Rolle spielen. Wir untersuchen beispielsweise genetische Risikofaktoren, wie das Adipositasgen TMEM18, und versuchen zu verstehen, wie diese Faktoren an der Entstehung von Adipositas beteiligt sein könnten, also wie dieses Gen im Körper funktioniert.
Dr. Robert Stein: Für den Zusammenhang zwischen Adipositas und Typ 2 Diabetes ist der Hauptmechanismus die Insulinresistenz. Insulin ist ein wichtiges Hormon, welches den Blutzucker senkt und dafür verantwortlich ist, dass der dort ankommt, wo wir ihn brauchen: beispielsweise als Energielieferant im Muskelgewebe. Wenn der Körper aber resistent gegenüber Insulin wird, bekommen wir ein Problem. Zuerst kann die Bauchspeicheldrüse das kompensieren, indem sie mehr Insulin produziert, aber irgendwann ist es auch damit vorbei und der Blutzucker steigt, es entwickelt sich der manifeste Diabetes. Trotz allem sehen wir auch hier Unterschiede: Viele Kinder und Jugendliche mit Adipositas haben bereits eine Insulinresistenz, aber manche eben auch nicht, obwohl sie extremes Übergewicht haben. Wir müssen in Zukunft besser verstehen, was diese Unterschiede ausmacht, und daran arbeiten wir.
Wie gehen Sie dabei methodisch vor?
Dr. Kathrin Landgraf: Im Sonderforschungsbereich 1052 kombinieren wir verschiedene Patientenkohorten miteinander, die im Zusammenhang mit Adipositas, aber auch mit Begleiterscheinungen wie Diabetes stehen. Wir nutzen zum Beispiel eine klinische Kohorte von Kindern mit und ohne Übergewicht, von denen wir Fettgewebsproben aus Routine-OPs bekommen. Diese Kohorte ist einzigartig in Bezug auf die Anzahl der bereits verfügbaren Proben und wie wir diese Proben im Labor auf funktioneller Ebene charakterisieren. Untersuchungen in dieser Kohorte haben gezeigt, dass das Adipositasgen TMEM18 mit bestimmten Fettgewebseigenschaften zusammenhängt, die eine Entstehung von Typ 2 Diabetes begünstigen. In Laborexperimenten an Zellkulturen und im Tiermodell ist es uns gelungen, den zugrundeliegenden molekularen Mechanismus aufzuklären.
Dr. Robert Stein: Wir haben in Leipzig das Glück, große Stichproben von Kindern und Jugendlichen mit und ohne Übergewicht wissenschaftlich untersuchen zu können. Diese Kohorten wurden über viele Jahre zusammengetragen, beispielsweise über die Adipositas-Sprechstunde der Kinderklinik und die LIFE Child Studie, aber sie werden auch beständig weiterentwickelt und in ihrem Verlauf weiterverfolgt. Hierfür kooperieren wir beispielsweise mit dem Helmholtz-Institut (HI-MAG) in Leipzig. Wir können dann in diesen Kohorten nach Mustern und Auffälligkeiten suchen, also nach bestimmten Gruppen, die sich anhand ihrer Daten unterscheiden von den Gesunden. Dann versuchen wir herauszufinden, was diese Unterschiede verursacht. Da stehen uns in der Forschung verschiedene Werkzeuge zur Verfügung, zum Beispiel suchen wir im Blut nach verschiedenen Biomarkern. Wir haben Fettgewebsproben oder auch genetische Proben, wie von Dr. Landgraf angeführt, die wir untersuchen. Und wir können soziale und Umweltfaktoren einbeziehen, die uns, meist durch Befragungen der Teilnehmer, zur Verfügung stehen. So versuchen wir, dass extrem komplexe Puzzle der Erkrankung zu rekonstruieren.
Wohin geht die Entwicklung bei den Erkrankungen?
Dr. Robert Stein: Leider stellen wir fest, dass immer mehr Kinder und Jugendliche die Diagnose Diabetes Typ 2 erhalten und dies in vielen Ländern, weltweit. Diese Erkrankungsform tauchte bisher vorwiegend bei Erwachsenen auf, die sogenannte Erkrankung des Wohlstandes. Das gibt uns zu denken. Diabetes Typ 2 tritt bei Kindern meist in der Pubertät auf. Dies ist eine sensible Phase, weil auch bei den meisten gesunden Kindern kurzzeitig die Insulinresistenz steigt. Alarmierend ist hierbei, dass betroffene Kinder und Jugendliche mit Typ 2 Diabetes in der Regel einen schwereren Verlauf als Erwachsene erleben. Hier müssen wir auf der Hut sein, und möglichst frühzeitig diejenigen mit dem höchsten Risiko erkennen.
Wird Diabetes in der Zukunft heilbar sein, wenn die Krankheit besser verstanden ist?
Dr. Robert Stein: In der Forschung gibt es sehr vielversprechende Ansätze. Am wichtigsten halte ich die Prävention, insbesondere die Adipositas-Prävention, denn wir wissen, dass Typ 2 Diabetes im Kindesalter häufig noch reversibel ist, wenn man die Adipositas in den Griff bekommt. Wir brauchen gute Programme, die auch auf gesellschaftlicher Ebene greifen. Aber jeder Einzelne kann natürlich auch unabhängig davon schon frühzeitig seinen Beitrag leisten, beispielsweise mit gesunder Ernährung und ausreichendem Sport. Damit sind auch die kleinen Alltagsaktivitäten gemeint: Nehme ich lieber die Treppe als den Fahrstuhl, fahre mit dem Rad zur Arbeit anstatt das Auto zu nehmen. Die Idee, eine Zucker- und Fettsteuer einzuführen, fände ich auch interessant. Eine komplette Heilung anzunehmen, ist dennoch sehr optimistisch, denn Adipositas ist eine chronische Erkrankung. Der Körper sträubt sich gegen eine Gewichtsabnahme, das macht es auch so schwer, Adipositas dauerhaft zu behandeln. Im Moment haben wir die Lebensstilinterventionen als Instrument, die zum Teil Erfolge bringen, aber jedoch nicht immer das Ergebnis, was wir uns wünschen. In Ausnahmefällen greifen wir auch bei Kindern und Jugendlichen bereits auf Magen-Verkleinerungen zurück. Es gibt aber auch zum Beispiel Therapieansätze wie neue Medikamente, die auf das Sättigungsgefühl einwirken und so eine Gewichtsreduktion begünstigen. Dies ist aktuell jedoch nur für seltene genetisch-bedingte Adipositas-Formen in Erprobung und nicht für die Allgemeinheit gedacht. Auch für die Diabetes-Therapie werden aktuell neue Medikamente entwickelt, welche neben einer besseren Blutzuckerkontrolle auch das Gewicht günstig beeinflussen können. Das heißt, wir werden die Erkrankung wahrscheinlich zukünftig nicht heilen, aber dennoch besser therapieren können.
Dr. Kathrin Landgraf: Ich stimme Dr. Stein zu, ein Schlüssel zur Regulierung von Adipositas und dem damit verbundenen Risiko für die Ausbildung von Typ 2 Diabetes liegt in der Prävention. Darüber hinaus ist ein Verständnis der physiologischen Mechanismen, welche im Körper während der Anhäufung von Fettgewebe ablaufen und welche zur Entstehung von Diabetes beitragen, von entscheidender Bedeutung. Dies könnte zum einen dazu beitragen, das individuelle Risiko für Adipositas und Diabetes besser einschätzen zu können und zum anderen zur Entwicklung von neuen Therapiestrategien beitragen.
Adipositasforschung in Leipzig:
Die Mechanismen der Entstehung und Behandlung von Adipositas zu erforschen, ist seit vielen Jahren ein Schwerpunkt der universitären Forschung in Leipzig. Es besteht eine vielfältige Forschungslandschaft, die sich der Prävention und Behandlung der Erkrankung widmet. Zu den Themen der Adipositasforschung in Leipzig zählen unter anderem genetische Assoziationen, Stoffwechselstörungen, Mechanismen der Fettakkumulation, die Rolle des Gehirns beim Essen und therapeutische Interventionen zum Gewichtsverlust und -erhalt.
Das Helmholtz-Institut für Metabolismus-, Adipositas- und Gefäßforschung (HI-MAG) ist eine gemeinsame Einrichtung des Helmholtz Zentrums München mit der Medizinischen Fakultät der Universität Leipzig und dem Universitätsklinikum Leipzig. Das Institut erforscht die molekularen Grundlagen krankhafter Fettleibigkeit, um mithilfe eines klinisch-translationalen Forschungsansatzes präzise Therapien für Adipositas und deren Folgeerkrankungen zu ermöglichen.