Pressemitteilung 2001/139 vom

Eine Leipziger Wirtschaftswissenschaftlerin erhält einen Preis für ihre Beobachtungen zur Sozialen Marktwirtschaft.

"Der Kanzler auf Sommerreise durch den Osten und das ohne Geld in der Tasche." Die Wirtschaftswissenschaftlerin Dr. Friedrun Quaas vom Institut für Wirtschaftspolitik der Universität Leipzig nervt solch plattes Lamento, aber auch das Gerede von den Ossis, die immer nur die Hand aufhalten: "Wir Ostdeutschen wollen nichts geschenkt bekommen - wir wollen Wohlstand erarbeiten, man muss uns nur lassen."

In ihren Augen herrscht im Osten des Landes nach wie vor eine große Verschwendung von Humankapital. Der Spruch: "Dann sollen die Leute doch in den Westen gehen.", den nicht zuletzt Universitäts-Absolventen nur allzu oft hören, könne ja wohl die Lösung nicht sein. Dabei müssten die Chancen des Wirtschaftsstandortes Ostdeutschland aus ihrer Sicht nicht schlecht sein. Wichtige Grundlagen sind hier bereits gelegt worden, man müsse diese nur durchhalten und aus Fehlern lernen. Dazu gehört, dass zum einen günstige ordnungspolitische Rahmenbedingungen für Investitionen und unternehmerische Tätigkeit geschaffen bzw. erhalten werden, die es besonders den kleinen und mittleren Unternehmen erlaubt, sich zu einem sicheren Bestandteil und Kernstück der Produktions- und Dienstleistungslandschaft der Region zu entwickeln. Aber auch Ansiedlungen bedeutender Unternehmen, wie es das jüngste Beispiel der Standortwahl Leipzig des bayerischen BMW-Konzerns belegt, sind wichtige Schritte in die richtige Richtung. Und die bedeuten auch positive Signale für Hochschulabsolventen: "Ein großer Teil der Absolventen der wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät wandert nach Studienabschluss in den Westen ab. Mit günstigeren Bedingungen am Standort würden sich diesen jungen Leuten interessante Möglichkeiten für den Berufsstart bieten und darüber hinaus die Chance, ihr Wissen dort anzuwenden, wo sie es erworben haben."

Zum anderen sei eine durchdachte Arbeitsmarkt- und Beschäftigungspolitik wünschenswert, die einen vernünftigen Umgang mit der wichtigen Ressource Humankapital sichern helfen könnte. Dies hätte nicht nur positive wirtschaftliche, sondern auch gesellschaftspolitische Effekte zur Folge, die im Sinne der Erhaltung des sozialen Friedens zu einem der Kernelemente der sozialen Marktwirtschaft zählen. Auch und gerade in den neuen Bundesländern ist ein sozialpartnerschaftlicher Umgang der unterschiedlichen Interessengruppen im Sinne der sozialen Irenik (sozialer Friedfertigkeit) wünschenswert, der an solche Grundwerte wie Toleranz, Solidarität und Verantwortlichkeit anknüpft.

Soziale Marktwirtschaft ist auch das Thema der Expertin, die in diesem Jahr für ihr, auf ihre Habilitationsschrift zurückgehende, Buch "Soziale Marktwirtschaft. Wirklichkeit und Verfremdung eines Konzepts" von der in Bremen ansässigen Wolfgang-Ritter-Stiftung mit dem ersten Preis für hervorragende wissenschaftliche Leistungen mit marktwirtschaftlichem Bezug geehrt wurde. Mit dem Konzept der Sozialen Marktwirtschaft habe unsere Realität allerdings nicht mehr viel zu tun, wenn den Rufen nach Abbau von Umverteilung und Abstrichen bei der Sozialpolitik immer aufmerksamer gelauscht wird: "Viele bemühen den Begriff, aber man hat mitunter den Eindruck, dass kaum noch jemand weiß, was Soziale Marktwirtschaft eigentlich bedeutet." Die spannungsreiche Balance zwischen sozialer Gerechtigkeit und persönlicher Freiheit, die im Zentrum des Konzepts steht, droht in den Augen von Quaas schon längst zu Lasten einer marktwirtschaftlichen Überziehung aufgegeben zu werden. Die Schwierigkeiten der Gratwanderung erkennt die Wirtschaftsexpertin durchaus, aber als idealen Orientierungspunkt dürfe die Gesellschaft die Balance nie aus den Augen verlieren, jedenfalls dann nicht, wenn sie einer sozial verfassten Marktwirtschaft verpflichtet bleibt.

Und Möglichkeiten, etwas mehr soziale Gerechtigkeit zu schaffen, gäbe es aus ihrer Sicht durchaus. Ein Beispiel sieht die Wissenschaftlerin in der aktuellen Diskussion um den Abbau von Überstunden: "Die Tatsache, dass diejenigen, die Arbeit haben, sich kaputt machen und andere zusehen müssen, ist absurd." Für sie eine Chance, etwas mehr soziale Gerechtigkeit zu schaffen. Soziale Gerechtigkeit, die letztlich im Interesse aller liegt.