Prof. Dr. Anita Steube war eine erstklassige Linguistin; sie war eine ebenso engagierte wie faire Forschungsorganisatorin; sie war eine gleichermaßen motivierende und behutsame Förderin des wissenschaftlichen Nachwuchses; sie spielte eine ganz wesentliche Rolle bei der Neuorganisation der Universität Leipzig in der Nachwendezeit, in der sie schwierigste Probleme mit Geschick und Beharrlichkeit löste, immer mit Blick auf die Menschen hinter den Problemen; und sie war eine zentrale Figur bei der Aufrechterhaltung, Neugründung und Weiterentwicklung der Linguistik in Ostdeutschland. Sie war ein Glücksfall für die Universität Leipzig, für die Sprachwissenschaft, und für die Sprachwissenschaft an der Universität Leipzig.
Anita Steube studierte von 1957 bis 1962 an der Universität Leipzig Anglistik und Romanistik. Ihre Dissertation von 1966 behandelte gradiente Grammatikalität und stilistische Adäquatheit auf der Grundlage einer transformationsgrammatischen Untersuchung moderner deutscher Lyrik; in ihrer Habilitation von 1978 ging es um die Semantik von Tempus. Ihre Hauptforschungsgebiete waren Syntax, Semantik und Pragmatik, mit Arbeiten u.a. zu Themen wie Konnektoren, Fragesätze, Aspekt, indirekte Rede, sekundäre Prädikate, Adverbien, Passiv, Reflexivierung, freie Relativsätze und Pronominaladverbien; aber sie hat sich in ihren Publikationen auch mit der Morphologie beschäftigt, und mit prosodischen Aspekten der Phonologie. Darüber hinaus war die Textlinguistik ein Bereich, der ihr nicht nur besonders in der Lehre, sondern auch in der Forschung etwas bedeutete. Die Untersuchungen erfolgten häufig mit Schwerpunkt auf dem Deutschen, zum Teil aber auch anderen Sprachen (wie Russisch oder Französisch), immer aber mit Ausrichtung auf die sprachvergleichende Perspektive.
Dasjenige Gebiet jedoch, das ihr vor allen anderen am meisten am Herzen gelegen hat, war die Informationsstruktur. Hier hat sie wichtige Forschungsergebnisse erzielt, z. B. zu Hutkonturen (Intonationstopikalisierung), Kontrast, Prosodie, Fokus, Fokuspartikeln, Negation, usw.; und hier hat sie wesentlich dazu beigetragen, dass das Thema heute so eine große Bedeutung in der Linguistik hat. Sie hat dazu eine Buchreihe herausgegeben („Language, Context and Cognition“); und die Informationsstruktur war ein zentraler Untersuchungsgegenstand in der von ihr geleiteten DFG-Forschungsgruppe „Sprachtheoretische Grundlagen der Kognitionswissenschaft“ (1999-2007) und dem DFG-Graduiertenkolleg „Universalität und Diversität“ (1997-2006).
Vernetzung und Interdisziplinarität der Forschung waren Anita Steube immer ein großes Anliegen. So hat sie etwa sichergestellt, dass in den um sie herum gebildeten kooperativen Forschungsunternehmungen neben Sprachwissenschaftler:innen aus den Philologien (Anglistik, Slavistik, Romanistik) auch Kolleg:innen aus Informatik und Psychologie gleichberechtigt partizipierten; und ebenso war es ihr wichtig, mit dem Phänomen Sprache befasste Abteilungen der in Leipzig ansässigen Max-Planck-Institute einzubinden (wobei sie bereits bei der ursprünglichen Etablierung des Department of Linguistics am Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie eine wichtige Rolle gespielt hatte).
Nach ihrer Emeritierung 2004 hat sie weiterhin das Institut für Linguistik begleitet und aktiv zu Forschung und Lehre beigetragen; und sie hat auch nicht aufgehört, sich für die Belange der Philologischen Fakultät, der Universität und der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu interessieren und einzusetzen. Zum 20-jährigen Jubiläum des von ihr wiedergegründeten Institutes für Linguistik gab es im Dezember 2018 eine Festveranstaltung mit Vorträgen von einigen ihrer früheren, heute im Fach sehr erfolgreichen Studierenden; und aus Anlass ihres 80. Geburtstags wurde im Juni 2019 ein Workshop ausgerichtet, in dem die Relevanz ihrer Forschungen für die gegenwärtige Linguistik herausgearbeitet wurde. Beides Mal hat Anita Steube die Vorträge hellwach und mit messerscharfem Verstand (sowie dem sie auszeichnenden trockenen Humor) verfolgt und kommentiert.
Wir sind sehr traurig, dass sie nun nicht mehr da ist, und werden sie und ihre Beiträge zur Erforschung der Sprache sehr vermissen.