Pressemitteilung 2004/015 vom

An der Universität Leipzig läuft eine Studie zu neuen Wegen der Typ-2-Diabetes-Therapie

Bewegung und gesunde Ernährung. Mit dieser naheliegenden aber bislang nicht systematisch praktizierten Therapie werden jetzt an der Medizinischen Klinik und Poliklinik III der Universität Leipzig Patienten behandelt, die unter Adipositas und zumeist schon dem daraus resultierende Diabetes Typ 2 leiden. Auskünfte zu diesem Projekt, das gemeinsam mit den Sportmedizinern der Fakultät für Sportwissenschaften durchgeführt wird, gaben Prof. Dr. Ralf Paschke, Direktor der Klinik für Endokrinologie, Diabetologie und Nephrologie sowie sein Mitarbeiter Dr. Matthias Blüher.

Eingangs ein Wort zum Typ-2-Diabetes. Wie lässt sich diese Krankheit beschreiben? Und wie verbreitet ist sie in Deutschland?

Paschke: Diese Diabetes-Form nennt man auch "Alters-Diabetes", da die meisten Betroffenen älter als 50 Jahre sind. Bei den Patienten besteht ein relativer Insulinmangel, das heißt, es wird zwar noch körpereigenes Insulin produziert, jedoch nicht in der erforderlichen Menge. Zudem wirkt das vorhandene Insulin bei diesen Patienten schlechter. Der Typ-2-Diabetiker neigt häufig zu Übergewicht. Und andersherum sehen wir das Übergewicht als eine Vorstufe des Diabetes an. Da über Jahre hinweg keine spezifischen Beschwerden vorliegen, wird die Erkrankung oft nur "zufällig", beispielsweise während einer Routineuntersuchung, erkannt.
In Deutschland zählen wir fast fünf Millionen Menschen mit Diabetes, über 90 Prozent davon leiden an Typ 2. Wir befürchten bis zum Jahr 2010 eine Verdopplung der Betroffenen. Und wenn sich nicht drastisch etwas ändert, stehen wir dieser Verdopplung nahezu machtlos gegenüber.

Die eindringliche und häufige Aufforderung an Menschen mit Übergewichtig und Typ-2-Diabetes, sich intensiv zu bewegen und auf eine entsprechende Ernährung zu achten, ist ja nicht neu. Worin besteht also der Wert ihrer aktuellen Studie?

Paschke: Die Aufforderungen waren zwar eindringlich und häufig, aber in der Regel über unkonkret und für den Patienten im Alltag schwer umzusetzen. Wir helfen derzeit 200 Betroffenen, die sich hier in stationärer oder bei niedergelassenen Kollegen in ambulanter Behandlung befinden, ihren Lebensstil grundlegend zu ändern. Das geht nicht mit allgemeinen Appellen und Handzetteln, sondern nur mit individueller Beratung und Betreuung. Die ambulanten Patienten beispielsweise kommen zwei- bis dreimal pro Woche zu uns, um unter Aufsicht der Sportmediziner Prof. Busse und Dr. Oberbach zu trainieren. Das heißt sie bewegen sich am Fahrrad-, Ruder oder Armkurbelergometer, nutzen Stepper, Laufband oder Seilzüge. Dabei werden ständig alle Vitalparameter kontrolliert, das subjektive Befinden erfragt und die Medikamentendosis immer wieder neu angepasst.

Die Studie läuft erst seit Oktober. Können Sie dennoch schon erste Ergebnisse vorweisen?

Blüher: Mich hat überrascht, dass so viele unserer Patienten zur Stange halten und dass auch die begleitende Sprechstunde, die wir gemeinsam mit Herrn Professor Busse dem Leiter des Instituts für Sportmedizin der Universität Leipzig durchführen, sehr intensiv genutzt wird. Das lässt auf Durchhaltevermögen beim geplanten selbständigen Training hoffen. Auch die statistischen Daten bewegen sich in eindeutige Richtung: Schon in der 10. Trainingswoche wird bei konstanter Zielherzfrequenz eine um durchschnittlich 17 Prozent höhere Leistung erbracht. 80 Prozent der Männer und 85 Prozent der Frauen sprechen davon, dass sie sich wohler fühlen.

Paschke: Dennoch sind nach wie vor nicht alle Fragen genügend beantwortet. Wir müssen unsere Empfehlungen noch besser auf den Punkt bringen, richtig handhabbare Rezepte entwickeln. Art, Dauer und Intensität der Belastung dürfen - vor allem mit Blick auf das spätere individuelle Training - nicht dem Empfinden des Patienten überlassen sein. Und wir verlieren auch nicht aus dem Auge, dass beispielsweise das für den gesunden Sportler limitierende Gefühl des Herzschmerzes von Diabetikern anders wahrgenommen wird.

Sie sagten vorhin, wenn sich nicht drastisch etwas ändert' ... Was müsste sich Ihrer Ansicht nach ändern?

Paschke: Ich sehe weniger ein medizinisches als ein gesundheitspolitisches Problem. Unser System ist bisher wenig auf Prävention ausgelegt. Mit den Ergebnissen unserer Studie werden wir im Januar 2004 mit unseren ersten Verlaufsergebnissen an die Krankenkassen herantreten und mit ihnen über die bislang nicht offiziell anerkannten - und finanzierten - Therapieformen wie kontrolliertes körperliches Training und Ernährungsberatung in der Diabetiker-Behandlung reden. Aber es deutet sich jetzt schon an, dass wir dem durch die Bewegungs-Therapie neu entstehenden Kostenfaktor eine wesentlich größeres Pendant entgegenstellen können: Die Einsparung von Medikamentenkosten und das wesentlich spätere Auftreten von Komplikationen des Diabetes.

Könnten Sie noch neue Patienten in die Studie einbinden?

Blüher: Noch sind unsere Kapazitäten erweiterbar. Aber wir hoffen natürlich im Bunde mit den Kassen und den niedergelassenen Kollegen ein flächendeckendes Netz solcher Bewegungsprogramme für Diabetiker anregen zu können.