Herr Elliesie, das Wort Clankriminalität macht aktuell wieder die Runde. Sie haben sich stets gegen diesen Begriff ausgesprochen – warum?
Weil es sich bei dem Kompositum „Clankriminalität“ um ein vom Mediendiskurs, der Politik und Sicherheitsbehörden konstruierten Begriff handelt, der in Statistiken auf Nachnamen von Großfamilien rekurriert. In diese Statistiken fließen auch Ordnungswidrigkeiten und kleinere Vergehen ein. Dadurch werden gesellschaftliche Ressentiments gegenüber Personen aus dem Nahen Osten geschürt. Der wirksame Mythos, der Rechtsstaat sei durch Familien XY gefährdet, deckt sich so aber nicht mit unseren und uns bekannten empirischen Forschungsbefunden. Vielmehr ist es doch äußerst bedenklich, wenn man grundlegende rechtsstaatliche Errungenschaften aufgibt, indem man nicht einmal mehr vorgibt, der Aufklärung konkreter Straftaten zu dienen, sondern aufgrund von Nachnamen und Herkunft per se eine Verstrickung in Straftaten unterstellt.
Gibt es dennoch die sogenannten rechtsfreien Räume? Wie sehen die aus?
Dies ist ein weiteres medientaugliches Schlagwort, das den eben genannten Mythos untermauern soll. Darunter versteht man allgemeinhin die Unfähigkeit des Staates, Gesetze bei einem Zusammenbruch der öffentlichen Ordnung durchzusetzen. Tumultlagen, wie wir sie beispielsweise in Berlin oder Nordrhein-Westfalen immer wieder erleben, sind polizeilich zuweilen zwar schwerlich und unter hohem Personaleinsatz in Griff zu bekommen, es handelt sich deswegen aber noch nicht um einen rechtsfreien Raum. Wie ich bereits an anderer Stelle gesagt hatte, gibt es, bezogen auf migrantische Milieus, in Deutschland keine rechtsfreien Räume. Bilder von blinder Zerstörung und eskalierender Gewalt, wie wir sie beispielsweise aus den Pariser Vororten kennen, sind uns fremd.
Wie und wo erforschen Sie die Communities, wie Sie statt Clans gemeinhin sagen – und was haben Sie bereits herausgefunden?
Meine Forschung, die meiner Forschungsteams und Forschungsverbundpartner findet grundsätzlich im ganzen Bundesgebiet statt. Es hat sich aber herausgestellt, dass die Phänomene der sogenannten Clankriminalität verstärkt in den Bundesländern Berlin, Bremen und Nordrhein-Westfalen vorzufinden sind. Dort haben wir zahlreiche Interviews durchgeführt und Personengruppen im Alltag begleitet. Parallel dazu führen wir auch eine Studie in der Justiz und den Ermittlungsbehörden der Bundesländer durch. So banal es auch klingen mag, alle Gesprächspartner:innen bringen es auf einen wesentlichen Punkt: Die jahrzehntelang mangelnde Integrationspolitik, mit aufenthaltsrechtlichen Duldungen und fehlenden Arbeitserlaubnissen, hat kriminelle Strukturen gedeihen lassen. Nun, wo Flüchtlinge aus Syrien und der Ukraine mit besseren Förderprogrammen unterstützt werden, entstehen gesellschaftliche Spannungen, die sich in Gewalttätigkeiten entfalten, wie wir sie jüngst in Nordrhein-Westfalen erleben. Die Politik hat darauf noch keine Antwort.