Pressemitteilung 2020/280 vom

Markus Scholz, Professor am Institut für Medizinische Informatik, Statistik und Epidemiologie an der Universität Leipzig, spricht im Kurz-Interview über die Ursachen der rasant steigenden Corona-Infektionszahlen und die Lage in Leipzig.

Das RKI meldete am Freitag 7334 Neuinfektionen innerhalb eines Tages. Wie erklären Sie sich, dass die Zahlen nun täglich rasant steigen?

Wir beobachten in der Tat aktuell einen eher überexponentiellen Trend. Das heißt, es steigen nicht nur die täglichen Infiziertenzahlen, sondern die Verdopplungszeiten nehmen auch kontinuierlich ab und liegen aktuell bei nur noch ca. zwei Wochen. Dies ist ein äußerst beunruhigender Trend. Ursachen hierfür sind nach unserer Einschätzung die zunehmende Verlagerung von Aktivitäten in Innenräume aufgrund der Witterungsbedingungen sowie die zunehmende Ineffizienz von Kontrollmechanismen bei steigenden Zahlen wie zum Beispiel der Kontaktverfolgung. Dieser allmähliche Wirkverlust der bestehenden Instrumente zur Pandemieeindämmung kann zu einer weiteren Beschleunigung der Entwicklung führen. 

In Leipzig gibt es weiterhin relativ wenig Neuinfizierte. Woran liegt das?

In Leipzig ist es aufgrund der früheren Maßnahmen gelungen, die Epidemie bereits Mitte Mai praktisch komplett auszulöschen. Es gab zwar gelegentlich Neueinträge von außen, zum Beispiel durch Reiserückkehrer, diese konnten aufgrund der Testungen aber offenbar bereits frühzeitig isoliert werden. Deshalb steigen in Leipzig die Zahlen aktuell deutlich langsamer als in anderen Regionen, bei denen das Virus nie komplett verschwunden war. Aufgrund unvermeidbarer Einträge von außen ist damit zu rechnen, dass dies nicht dauerhaft so bleibt. Wie überall haben es jedoch die Menschen ein gutes Stück weit selbst in der Hand, durch die konsequente Einhaltung der AHA-Regeln dem Trend bestmöglich entgegenzuwirken. 

Bundeskanzlerin Angela Merkel hat diese Woche davon gesprochen, dass die Zahlen bis Weihnachten täglich bei 19.200 Neu-Infektionen liegen könnten, wenn die Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Virus nicht verschärft werden. Welche Entwicklung erwarten Sie bis Ende des Jahres?

Aufgrund von Modellsimulationen unserer Arbeitsgruppe halten wir diese Zahlen für durchaus realistisch, wenn keinerlei Maßnahmenverschärfungen erfolgen. Diese Werte könnten sogar schon früher erreicht werden, wenn sich der aktuell immer mehr beschleunigende Trend fortsetzt. 

Hinweis:
Prof. Scholz ist einer von mehr als 150 Experten der Universität Leipzig, auf deren Fachwissen Sie mithilfe unseres Expertendienstes zurückgreifen können. Lesen Sie gerne auch sein ausführliches Interview mit dem Newsportal Watson.