Pressemitteilung 2003/381 vom

Im Gespräch mit Prof. Dr. med. Stefan Schubert, Oberarzt im Zentrum für Innere Medizin am Universitätsklinikum Leipzig anlässlich des Welt-Aids-Tages am 1. Dezember.

1983 wurde der Auslöser der um sich greifenden AIDS-Epidemie von französischen Wissenschaftlern um Luc Montagnier am Pariser Institut Pasteur entdeckt. Robert Gallo von den Nationalen Gesundheitsinstituten (NIH) der USA machte den Europäern diese Ehre später streitig. Doch unabhängig davon, wem der Entdeckerruhm nun wirklich zusteht - mit dieser Erkenntnis konnte einer tödlichen Krankheit der Kampf angesagt werden. Einen Blick zurück auf zwei Jahrzehnte AIDS-Forschung und -Therapie warf Prof. Dr. med. Stefan Schubert, Oberarzt im Zentrum für Innere Medizin am Universitätsklinikum Leipzig, Fachbereich Infektions- und Tropenmedizin.

Seit zwei Jahrzehnten lebt die Menschheit mit dem Wissen um das HI-Virus. Und doch breitet es sich immer weiter aus. Welche Bemühungen, das Unheil zu stoppen, waren erfolgreich, welche weiniger?

Es sind derzeit weltweit rund 42 Millionen Menschen infiziert. Mit Blick auf AIDS, wie auf die meisten Infektionskrankheiten, kann man aber nicht von d e r Menschheit sprechen. Die Lage in den Industrieländern, in denen intensive Aufklärungskampagnen liefen, ist eine ganz andere als in der sogenannten dritten Welt, wo Aufklärung immer wieder an Unwissenheit, Armut und der Ungleichberechtigung der Frau scheitert. Auch sind die Übertragungswege und der Geschlechtsbefall deutlich unterschiedlich. In Westeuropa und den USA war die Anzahl der Neuinfektionen einige Jahre lang sogar leicht rückläufig. Die statistische Zunahme der Aids-Erkrankten resultierte hier aus verlängerter Lebensdauer durch Verbesserung der Therapie. Aber beispielsweise südlich der Sahara sind in einigen Ländern jetzt etwa 25 Prozent der Bevölkerung oder noch mehr bis zum 50. Lebensjahr mit dem Virus infiziert. Und die Neuinfektionen nehmen weiter dramatisch zu zu. Immer höher steigen auch die Infektionsraten in Osteuropa, insbesondere Russland, und neuerdings auch in China. Andererseits hatte beispielsweise Uganda in den letzten Jahren Rückgänge zu vermelden, was vorsichtig zu der Hoffnung Anlass gab, dass durch adäquate Maßnahmen und Aufklärung auch in den tropischen Ländern in näherer Zukunft eine Trendwende prinzipiell möglich ist. Man muss also jedes Gebiet gesondert betrachten und die Ergebnisse der laufenden Bemühungen weltweit und regional intensiv weiter verfolgen.

Wie unterscheiden sich die Übertragungswege in den einzelnen Regionen dieser Welt?

In den USA und den mitteleuropäischen Industrieländern sind homosexuelle Männer überproportional betroffen, in südeuropäischen Ländern wie Spanien und Italien vor allem iv-Drogensüchtige. Die professionelle Prostitution spielte in den führenden Industrieländern kaum eine Rolle. In den sogenannten Entwicklungsländern dominiert dagegen die heterosexuelle Übertragung, auch durch die Armutsprostitution. In Osteuropa und China trägt seit einigen Jahren die intravenöse Drogenabhängigkeit maßgeblich zur Verbreitung bei.

Welchen Erkenntniszuwachs gab es seit der Entdeckung des Virus?

Meines Erachtens wurde in den vergangenen zwei Jahrzehnten auf kaum einem Gebiet so intensiv geforscht wie auf dem Gebiet von AIDS. Nachdem das Virus in kürzester Zeit identifiziert worden war, begann sofort die Entwicklung hocheffektiver Medikamente, die den Ausbruch und den Verlauf der Krankheit um Jahre verzögern. Es keimte sogar die Hoffnung, die Viren im Körper des Betroffenen völlig ausmerzen zu können. Diese konnte jedoch bis jetzt nicht erfüllt werden. Durch die Vielzahl entwickelter Medikamente und Kombinationen konnten jedoch Resistenzprobleme weitgehend beherrscht, Nebenwirkungen minimiert und wie gesagt die Überlebenszeit bei guter Lebensqualität deutlich erhöht werden. Derzeit richten sich alle Hoffnungen auf ein Mittel, welches das Virus bereits vor dem Eindringen in die Zellen der menschlichen Immunabwehr bekämpfen soll. Bisherige Medikamente konnten erst innerhalb der befallenen Zellen wirksam werden.

Und wann erwarten Sie den Impfstoff?

Nach wie vor wird intensiv geforscht, eine wirksame praktikable Impfung ist aber noch nicht in Sicht. Allerdings: Die gesamte Bevölkerung präventiv durchzuimpfen, ist ohnehin nicht angedacht. Das wäre zu aufwendig, verglichen mit den anderen einfachen Schutzmöglichkeiten, sofern Menschen nicht auf ungeschützten Sexualverkehr als Erwerbsquelle angewiesen sind. Die potentiellen Nebenwirkungen und Komplikationen müssten dann die weitaus meisten Menschen umsonst in Kauf nehmen. Viel wichtiger erscheint mir, dass man bei sogenannten "therapeutischen Impfungen" weiterkommt, an der seit Jahren intensiv gearbeitet wird. Durch diese Impfungen werden bei bereits HIV-Infizierten Immunreaktionen angeregt, welche den Körper in den Zustand versetzen, durch Bildung spezieller Antikörper und Abwehrzellen besser mit der HIV-Infektion fertig zu werden bzw. sie über einen langen Zeitraum zu beherrschen - ohne oder mit zusätzlicher medikamentöser Therapie.

Das klingt nach einer vorsichtig positiven Bilanz, was die Ergebnisse medikamentöser Behandlungsmöglichkeiten und Ansätze der Impfstoffforschung anbetrifft.

Das mag sein, und wir freuen uns sehr über die Fortschritte für unsere Patienten. Bedrückend aber ist, dass diese medizinischen Errungenschaften vorerst nur etwa 5 Prozent der Betroffenen auf unserer Erde zugute kommen und etwa 95 Prozent im Weltmaßstab ihrer HIV-Infektion weitgehend hilflos ausgeliefert sind. AIDS wird dadurch eine der größten globalethischen Herausforderungen für die nächsten Jahre darstellen, der sich nicht nur die Mediziner, sondern vor allem Politiker stellen müssen, zumal diese Krankheit besonders jüngere Menschen im arbeitsfähigen Alter betrifft, von denen entscheidend sowohl die Familien als auch die wirtschaftlichen Verbesserungen in den sogenannten Entwicklungsländern abhängen. Nur durch intensive internationale Bemühungen ist es in den letzten Jahren gelungen, dass in einigen dieser Länder die Medikamente zur Behandlung der HIV-Infektion kostengünstiger zur Verfügung gestellt werden, wodurch sie schrittweise einer größeren Anzahl von Infizierten und AIDS-Patienten zugute kommen können.

Lassen Sie uns noch einen Blick auf Deutschland werfen. Sie sprachen von einem Rückgang der Neuinfektionen Ende der Neunziger...

... was uns allerdings nicht in Sicherheit wiegen darf. In England und den USA stiegen die Zahlen bereits wieder leicht an. In Deutschland lies eine neuerliche Zunahme anderer sexuell übertragbarer Krankheiten wie der Syphilis in einigen Gebieten vermuten, dass im Safer-Sex-Verhalten wieder nachgelassen wird und in einiger Zeit da auch wieder mit mehr HIV-Patienten in Zukunft zu rechnen sein wird. Eine gewisse "neue Sorglosigkeit" mag teilweise aus einer Überschätzung der mitunter euphorisch propagierten Erfolge der medizinischen Forschung resultieren. Ein weiterer Grund liegt aber auch an Einsparmaßnahmen im Bereiche der öffentlichen AIDS-Beratungsstellen. AIDS-Aufklärungskampagnen, z. B. in Schulen, können dann nicht mehr so intensiv geführt werden wie früher. Dies ist ein Sparen an der falschen Stelle, denn durch Vorbeugung wird nicht nur großes Leid verhütet - sie ist auch wesentlich billiger als die Behandlung von HIV-Infizierten.

Wohin sollte sich jemand wenden, der befürchtet, mit dem HI-Virus in Kontakt gekommen zu sein?

Nach verdächtigen blutigen Verletzungen, z. B. im medizinischen Bereich, wird empfohlen, innerhalb weniger Stunden mit einer medikamentösen sogenannten "Postexpositionsprophylaxe" zu beginnen. Überlegungen, dies auch nach möglicher sexueller Übertragung so durchzuführen, sind im Gange. Diese nachträgliche medikamentöse Prophylaxe ist aber nicht hundertprozentig sicher, mit Nebenwirkungen belastet, sehr teuer und somit nicht als Alternative zu Safer Sex akzeptabel. Wer einen Test machen lassen möchte, sollte bedenken, dass erst drei Monate nach einem möglichen Infektionszeitpunkt der Nachweis einer eingetreten Infektion mit den üblichen Methoden sicher nachweisbar ist. In Gesundheitsämtern werden diese Tests kostenlos und anonym durchgeführt. Natürlich wird jede Blutspende auf HIV untersucht. Im Falle einer Infektion wird das Blut sofort verworfen, und die Infektion wird dem Spender in jedem Falle mitgeteilt, da er zeitlebens nicht mehr spenden darf. Angesichts der zahlreichen heutigen Möglichkeiten, AIDS zu behandeln, sollte man nicht zögern, die Wahrheit so zeitig wie möglich zu erfahren, auch wenn es, vor allem anfangs, sehr schwer fällt, diese Infektion zu akzeptieren - ist doch sein Leben von einem Moment zum anderen ganz anders geworden. Je eher man der Tatsache aber ins Auge sieht, desto größer ist die Chance, zum richtigen Zeitpunkt mit einer deutlich lebensverlängernden Therapie bei guter Lebensqualität zu beginnen und dadurch viele Jahre bei klinisch guter Gesundheit zu erhalten.

Und dennoch ist keine Heilung möglich?

Nein, das muss man ganz deutlich sagen: AIDS ist auch nach 20 Jahren noch unheilbar.