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Habilitationsschrift "Von den Ähnlichkeiten und Differenzen. Ehre und Drama des 16. und 17. Jahrhunderts in Italien und Spanien (Theorie, Geschichte, Synthese, Kritik und Weiterführung)" von Alfonso De Toro Die Habilitationsschrift von Alfonso De Toro stellt für mich eine höchst erfreuliche Überraschung dar. Dabei möchte ich zunächst betonen, daß De Toros Habilitationsschrift über Formen des 'Ehrendramas' in Spanien und Italien eine der materialreichsten Studien ist, denen ich in meiner Gutachter- und Rezensententätigkeit je begegnet bin. Das gilt sowohl für das sensu strictiori literarische Material, bei dem der Vf. zumal im italienischen Seicento einen ausgesprochen abgelegenen Bereich erschließt, als auch für die Abundanz der Forschungsliteratur, welche von De Toro herangezogen wird. Bezeichnenderweise umfaßt das Schriftenverzeichnis der Studie mehr als hundert Seiten, und es spricht für die Intensität von De Toros Arbeit, daß dieser extraordinäre bibliographische Aufwand auch tatsächlich notwendig (oder zumindest funktional) ist. Selbst die obskursten in der Bibliographie angeführten Seicento-Dramen werden analytisch ausgewertet, um zur Verläßlichkeit und Differenziertheit von De Toros semiotischen Modellen beizutragen, und ebenso bemerkenswert erscheint die Gewissenhaftigkeit, mit welcher der Vf. sich - insbesondere im Abschnitt über die generischen Klassifikationsprobleme der spanischen Ehrendramen - auf eine detaillierte Diskussion zahlreicher anderer Forschungsansätze einläßt. |
Um den
Reichtum der Resultate, die De Toros Habilitationsschrift bietet, zu
ermessen, sollte man sich im übrigen nicht an die allgemeine
Zusammenfassung (S. 506 ff.) halten. Sie ist nur etwas für faule Leser
und wird den - teils wirklich innovativen - Verdiensten der Studie kaum
gerecht. Günstiger scheint es mir, die literaturwissenschaftliche
Produktivität von De Toros Habilitationsschrift gleichsam an der
Synekdoche dreier Beispiele zu verdeutlichen. Das erste Beispiel betrifft
die vieldiskutierte Frage nach der Legitimität, welche die Tötung einer
Ehebrecherin in den sozusagen offiziellen Moraldiskursen des Siglo de Oro
beanspruchen durfte: eine Frage, die bekanntlich im Zusammenhang mit Lopes
El castigo sin venganza und den Calderonschen Ehrendramen
langwierige und nach wie vor unabgeschlossene Debatten ausgelöst hat.
Aufgrund einer sorgfältigen Lektüre der von diesem Problem involvierten
Traktatliteratur weist De Toro nun nach, daß die Tötung selbst der
inflagranti überführten Ehebrecherin zumindest nach dem
moraltheologischen Schrifttum der Epoche in keiner Weise legitim war (vgl.
S. 151 - 168). Damit korrigiert De Toro Auffassungen, welche sich - gestützt
vor allem auf die Autorität Américo Castros - einer beträchtlichen
hispanistischen Popularität erfreuen und etwa in Hans-Joachim Müllers
Darstellung Das spanische Drama des 17. Jahrhunderts oder zwischen göttlicher
Gnade und menschlicher List (Berlin 1977) eine große Rolle spielen.
Auch die Thesen, die Joachim Küpper neuerdings in seinem bedeutenden Buch
Diskurs-Renovativo bei Lope de Vega und Calderón (Tübingen 1990)
entwickelt hat, müssten nach De Toros detaillierten Forschungen zu den
moraltheologischen und moralphilosophischen Kontexten der spanischen
Ehrendramen wohl in einigen Punkten modifiziert werden. Das
zweite Beispiel betrifft den Beitrag, den De Toros Habilitationsschrift
zur Italianistik leistet. Er erscheint mir so außerordentlich, daß
meines Erachtens allein der italianistische Teil der Studie ausreichen würde,
um den Verfasser mit vollem Recht zu habilitieren. Dabei denke ich etwa an
De Toros Hinweise auf den weithin vergessenen Secentisten Giacinto Andrea
Cicognini, die eine Art Monographie in der Monographie ergeben. Sehr
anregend wirkt ebenfalls die distinktionsscharfe Typologie von drei
Modellen der "tragicommedia" in Italien (vgl. S. 199 ff.), und
überhaupt ist die Idee, italienische Tragödien und Tragikomödien des
16. und 17. Jahrhunderts als 'Ehrendramen' zu lesen, nicht nur geeignet,
den üblichen italienischen Lektürehabitus reizvoll zu verfremden,
sondern sie schafft auch tatsächlich neue Einsichten in signifikante
"Ähnlichkeiten" und mehr noch "Differenzen" zwischen
den spanischen und italienischen Mentalitäten im Zeitalter von
Renaissance und Barock. Im Abschnitt über die halbwegs kanonisierten Tragödien
des Cinquecento - Trissinos Sofonisba, Giraldi Cinthios Orbecche,
Sperone Speronis Canace - beweist De Toro, daß er neben dem Talent
der Modellkonstruktion in nicht geringerem Maße einen "esprit de
finesse" zur eindringlichen Textinterpretation besitzt, welche die
Aspekte der Ehrenthematik und die Aspekte der Leidenschafts- und
Rache-Emphase à la Seneca bestens auseinanderzuhalten weiß. Für
besonders interessant halte ich in diesem Abschnitt übrigens die
Darstellung von Ludovico Dolces La Marianna, einer Tragödie,
welche von allen Stücken des Cinquecento dem spanischen Typhus des
Ehrendramas wohl am nächsten kommt (vgl. S. 255) und deshalb vielleicht
noch einen ausführlicheren Vergleich etwa mit Calderóns El médico de
su honra lohnen würde. Mit dem
dritten Beispiel spreche ich den eigentlichen Höhepunkt der Studie an:
die Überlegungen zur "Gattungszugehörigkeit" der spanischen
Ehrendramen und ihrer "Sorten" (vgl. bes. S. 342 - 371). Sie im
Detail nachzuzeichnen und zu bewerten, ist hier nicht meine Aufgabe. Für
die Zwecke des Gutachtens beschränke ich mich darauf festzustellen, daß
diese Überlegungen ein schlechterdings vorbildliches Gleichgewicht
zwischen Forschungsbericht, Forschungskritik und eigener Thesenbildung zu
wahren verstehen. Besonders die Einwände gegen Alexander A. Parker und
seine Schüler wirken auf mich sehr überzeugend, und auch De Toros eigene
Position in der generischen Zuordnungsdebatte - der Vorschlag, von einer
"tragicomedia a la española" zu sprechen - erscheint mir
durchaus plausibel. Wichtig ist vielleicht noch anzumerken, daß die
Diskussion der "Gattungszugehörigkeit" der Ehrendramen, wie sie
hier mit sowohl systematischer als auch historischer Akkuratesse entfaltet
wird, keineswegs nur Klassifikationsprobleme betrifft, sondern immer schon
diffizile Interpretationsfragen impliziert. Besonders deutlich wird das
bei der Erörterung der Frage, ob in den spanischen Ehrendramen eventuell
das Prinzip einer 'poetischen Gerechtigkeit' auszumachen ist, oder bei der
Auseinandersetzung mit Parkers Vorschlag, das Mehrwissen des Zuschauers
gegenüber dem partiell 'blinden' Rächer in manchen Ehrendramen als
Anagnorisis und demzufolge als eine Art tragische Ironie aufzufassen. Von
allgemeiner gattungstheoretischer Bedeutung sind schließlich De Toros
Betrachtungen zur idealtypischen Ambivalenz des Endzustands im spanischen
Ehrendrama, welcher für die entehrte Frau in der Regel einen tragödienspezifischen
Untergang, für den Ehrenrächer dagegen eine komödienspezifische
Restauration vorsieht. Nach
dem Gesagten steht für mich außer Zweifel, daß Alfonso De Toro eine
exzellente Habilitationsschrift vorgelegt hat, auf die nicht nur die
Hamburger Fakultät, sondern die deutsche Romanistik, in deren beste
Traditionen De Toro sich mit seiner Studie einschreibt, insgesamt stolz
sein kann. Veröffentlicht, dürfte diese Studie ein Standartwerk werden,
nicht zuletzt wegen der singulären Verbindung von semiotischem "esprit
de géométrie" und literarhistorischer Erudition, durch die sie sich
auszeichnet. O. Univ. Prof. Dr. Ulrich Schulz-Buschhaus, Universität Graz, 4. April 1992 |